Erzaehlungen
Katharina blickte ihm wie prüfend ins Auge; dann trat sie näher auf ihn zu, nahm seine Hand und strich schmeichelnd mit der ihren darüber hin, was ihm sehr wohl tat. Er drehte das Licht ab, sie begaben sich ins Speisezimmer, und jetzt erst ließ sich Katharina bewegen, Hut und Jacke abzulegen. Dann aber war sie rasch wie zu Hause. Als er sich anschickte, den Tisch zu decken, ließ sie es nicht zu, sondern bestand darauf, das sei ihre Sache. Auf ihren scherzenden Befehl nahm er auf einem entfernten Sessel Platz und sah ihr mit leiser Rührung zu, wie sie hausmütterlich alle Vorbereitungen für das Abendessen traf, und wie sie sich nicht nur hierbei, sondern auch draußen in Küche und Vorzimmer mit einer Geschicklichkeit zurechtfand, als hätte sie hier seit jeher Haus und Wirtschaft geführt. Endlich setzten sie sich beide an den Tisch, sie teilte vor, er schenkte ein, und sie aßen und tranken. Sie plauderte entzückt von dem verflossenen Abend, und war verwundert, von Gräsler zu hören, daß er selten Theater besuche, was für sie den Inbegriff aller irdischen Genüsse vorzustellen schien. Nun gab er ihr Aufschluß darüber, wie schon der äußere Verlauf seines Daseins Vergnügungen solcher Art nicht häufig erlaube, daß er seinen Aufenthalt von Halbjahr zu Halbjahr verändere, daß er eben aus einer kleinen deutschen Bäderstadt zurückkäme, und daß er bald wieder übers Meer nach einer fernen Insel reisen müsse, wo es keinen Winter gäbe, wo hohe Palmen stünden, und man auf kleinen Wagen unter einer brennenden Sonne ins gelbe Land hineinfahre. Katharina fragte, ob es dort auch viele Schlangen gäbe. »Man kann sich vor ihnen schützen«, sagte er. – »Wann müssen Sie denn wieder dorthin?« – »Bald. Möchten Sie wohl mit?« fragte er wie im Scherz und fühlte zugleich in seiner, durch den rasch genossenen Wein erhöhten Stimmung, daß in diesem Scherz eine Ahnung von Wahrheit zitterte.
Sie erwiderte ruhig, aber ohne ihn anzublicken: »Warum nicht?« Er setzte sich näher zu ihr und legte seinen Arm leise um ihren Hals. Sie wehrte es ab, was ihm nicht übel gefiel. Er stand auf, entschloß sich, Katharina von nun an vollkommen als Dame zu behandeln, und bat höflich um die Erlaubnis, sich eine Zigarre anzünden zu dürfen. Dann, rauchend und im Zimmer auf und ab wandelnd, sprach er ernst und mit Beziehung von dem seltsamen Lauf der menschlichen Tage, deren man auch nicht
einen
vorher zu berechnen imstande sei, erzählte dann von allen Orten im Norden und im Süden, wohin sein Beruf ihn schon geführt hatte, und ließ dahingestellt, wohin er ihn wohl noch führen könnte; im Reden blieb er zuweilen neben Katharinen stehen, die Datteln und Nüsse aß, und legte sachte die Hand auf ihr braunes Haar. Katharina, die ihm mit Teilnahme, und zuweilen durch wißbegierige Fragen ihn unterbrechend, zuhörte, ließ manchmal ein sonderbares, wie spöttisches Aufleuchten der Augen merken, was den Doktor dann immer veranlaßte, noch beflissener und sachlicher in seinen Reden fortzufahren. Als die Wanduhr Mitternacht schlug, erhob sich Katharina, als wäre es das unwiderrufliche Zeichen zum Aufbruch; und Gräsler tat recht ungehalten, obwohl er in der Tiefe seiner Seele eine gewisse Erleichterung verspürte. Bevor Katharina ging, räumte sie den Tisch ab, stellte die Sessel zurecht und machte Ordnung im Zimmer. An der Türe ganz plötzlich hob sie sich auf die Fußspitzen und reichte dem Doktor die Lippen zum Kuß. »Weil Sie so brav gewesen sind«, sagte sie dann, und in ihren Augen blitzte es wieder sonderbar spöttisch auf. Sie gingen die Treppe hinunter im Schein einer flackernden Kerze, die Gräsler vorantrug. An der nächsten Ecke stand ein Wagen, Gräsler stieg mit Katharina ein, sie lehnte sich an ihn, er umschlang ihren Hals; und so fuhren sie stumm durch die nächtlichen Straßen, bis, schon in der Nähe von Katharinens Wohnhaus, Gräsler das junge Mädchen heftiger an sich zog und ihr Mund und Wangen mit leidenschaftlichen Küssen bedeckte. »Wann seh' ich dich wieder?« fragte er, als der Wagen auf Katharinens Wunsch in einiger Entfernung von ihrem Wohnhaus hielt. Sie versprach ihm, morgen abend zu kommen. Dann stieg sie aus, bat ihn, sie nicht bis zum Tor zu begleiten, und verschwand im Schatten der Häuser.
Am nächsten Morgen verspürte Doktor Gräsler keinerlei Neigung, das Spital zu besuchen; doch als er später unter einer kühlen, klaren Herbstsonne, zu einer Tageszeit, da andere Leute ihrem
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