Erzaehlungen
gemeiner Fußgänger hinunter in den Prater und die Rückfahrt vom Derby anschaun.
Erinnerst Du Dich noch an den schönen ersten Mai mit den zwei süßen Geschöpferln da unten – das sind jetzt zehn Jahre her. Damals sind wir den zwei Mupipusserln volle anderthalb Stunden nachgestiegen, bis die Mama verlorengegangen ist. – Und dann haben wir ihnen den Weg gezeigt! – Erinnerst Du Dich? – Allerdings haben sie den Weg schon gekannt! – Heut sollt' mir einer vorschlagen, einem weiblichen Wesen anderthalb Stunden nachzulaufen! – Wo ist die, für die ich solch eines Opfers fähig wäre?
Auf dem Konstantinhügel habe ich Rendezvous mit Fritz, Weidenthaler und so weiter. Natürlich die Weiber dabei! – Ich geh' nicht hin. Soll die Mizi den Fritz mit wem anderen betrügen; es kommt ihr doch sicher viel mehr aufs Betrügen an als auf mich! – Nein, nicht auf den Konstantinhügel, in den Wurstlprater geh' ich heut, mich so recht encanaillieren. – Erstens mich vor'n Wurstl hinstellen, zuschauen, und wenn sie den Juden totschlagen, werd' ich eine Freud' haben wie ein Schneidergesell! Und dann geh' ich in den Velozipedzirkus, wo die käuflichen Damen mit den siebenfarbigen Strümpfen herumradeln – und dann gehe ich zum Wahrsager und zum Präuscher samt Extrakabinett. Und zum Calafatti.
Servus, mein Lieber, schreib mir was, und ich laß die schönen Neapolitanerinnen grüßen.
Dein
Alfred
Josefine Weninger an Helene Beier in Paris
Meine liebe gute Helene!
Also eine große Neuigkeit. – Du ahnst es schon, mit dem Emil ist es nämlich aus. Nun ja, es macht doch immer ein bißchen traurig, denn der Abschied ist nun einmal doch ein Abschied; und das Adieusagen, Adieu auf immerdar, wie ich schon oben gesagt, ist eine große Melancholie. Aber wenn ich grad nicht dran denke, befinde ich mich eigentlich viel wohler als in der ganzen letzten Zeit. Es waren nämlich sehr unangenehme Tage, diese letzten, bevor es zum Bruche kam. Ich habe es schon lange bemerkt, wie ich Dir ja neulich schrieb, meine gute Helene. Wenn er abends zu mir kommen sollte, Absagen, zwei in einer Woche, und dann hat er mich öfters allein in' Prater fahren lassen und mich sogar ins Theater geschickt, ohne daß er drin war! – Na, das kennt man, das ist dann schon nicht mehr die wahre Liebe! Ich nehme es ihm nicht übel; denn ich hab' in der letzten Zeit wirklich schon gar nicht mehr für ihn geschwärmt. Aber ich muß Dir doch das Ganze erzählen, wie es schließlich gekommen ist.
Letzten Dienstag, also heut vor acht Tagen, kommt wieder so ein Brieferl von ihm, abends um halb acht, er kann nicht erscheinen. Morgen zu Mittag wird er so frei sein zu fragen, wie ich geruht. Du weißt, er hat immer solche Höflichkeitsformeln gehabt, was mir sehr gut gefallen hat, nie was Rohes, nie – immer, als wenn er mir höchstens die Hand küssen dürfte. – Ein schöner Abend war's auch, ich eine fürchterliche Langweil vor mir – da denk' ich mir, nimmst dir einen Wagen und fahrst spazieren. Es war schon halb dunkel, also ich nehm' mir einfach den Mantel um und lauf' hinunter. Wie ich dann um den Ring fahre, wird mir riesig wohl, die Luft war so angenehm, so mild, und ich denk' mir, es ist ganz gut, daß die ganze Geschichte endlich aus wird. In dem Moment waren mir alle Männer ganz gleichgültig – aber vollkommen; nicht nur er, was ich ja schon gewöhnt war.
Ich laß den Kutscher langsam fahren, steig' beim Stadtpark aus, laß ihn nachfahren, steig' beim Museum wieder ein und dann um den ganzen Qual und Ring herum; und wie ich nach Hause komme, ist richtig neun vorbei. Ich gemütlich hinauf; da sagt mir die Lina: »Fräulein, der gnädige Herr ist schon seit einer Stund' drin.« Was? denk' ich mir und geh' in den Salon, da ist's aber dunkel, und dann ins rote Zimmer. – Da sitzt er richtig auf dem Diwan, mit dem Überzieher, und klopft mit dem Spazierstock auf dem Boden herum. Er schaut auf, wie ich hineinkomme, und fragt: »Woher denn, mein Fräulein?« – Ganz ruhig. – Ich erwidere darauf, der Wahrheit gemäß, denn zum Lügen war ja kein Grund: »Nachdem du mir geschrieben hast, daß du nicht kommst, hab' ich mir einen Wagen genommen und bin rund um den Ring gefahren, weil's so schön war.« – »So«, sagt er, steht auf, und immer noch mit dem Überzieher, spaziert er im Zimmer hin und her, ohne mich anzuschauen. – »Was hast denn?« frage ich. – Keine Antwort. Ich laß ihn stehn und geh' in den Salon und hör' ihn noch alleweil
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