Erzählungen
Wärme eine so wunderbare Wirkung auf das Schmelzen des Eises übt.
Man mußte sehr vorsichtig zu Werke gehen, um die Jeune-Hardie von dem hohen Bett der Eisschollen, das sie umgab, herab zu lassen. Das Schiff wurde solide gestützt, und man hielt es nun für geeignet zu warten, bis die Schollen durch den Eisgang brechen würden. Aber es bedurfte dessen nicht; die inneren, auf einer wärmeren Wasserschicht ruhenden Eisschollen lösten sich allmälig ab, die Brigg senkte sich nach und nach, und als die ersten Tage des April herankamen, war sie wieder auf ihrem natürlichen Niveau angelangt.
Stürmische Regengüsse beschleunigten jetzt noch die Zersetzung des Eises, und das Thermometer sank wieder auf zehn Grad unter Null. Einige von den Leuten legten letzt ihre Robbenfellkleider ab, und man fand es nicht mehr nöthig, wie bisher Tag und Nacht das Feuer in den Oefen zu unterhalten. Der Vorrath an Spiritus war bereits sehr zusammengeschmolzen und wurde nur noch zum Kochen der Speisen verwandt.
Bald begann das Eis mit dumpfem Krachen und großer Schnelligkeit auseinander zu bersten, und man konnte nicht mehr ohne Gefahr einzubrechen auf den Flächen vorgehen, sondern mußte erst mit einem Stock das Terrain sondiren, ehe man einen Schritt that. Mehrmals fiel Dieser oder Jener von den Seeleuten in’s Wasser, aber sie kamen immer mit einem kalten Bade davon.
Auch die Robben stellten sich wieder ein und waren eine willkommene Jagdbeute, denn ihr Fett konnte außerordentlich nutzbar gemacht werden.
Die Gesundheit der Mannschaft blieb vorzüglich, und Jeder machte sich nach Kräften mit Vorbereitungen zur Abfahrt und mit der Jagd zu schaffen Ludwig Cornbutte studirte häufig das Fahrwasser und beschloß endlich, nach der Gestaltung der mittägigen Spitze die Durchfahrt mehr im Süden zu versuchen, denn schon begann der Eisgang an mehreren Stellen, und schwimmende Eisberge strömten auf die hohe See zu. Am 25. April wurde das Schiff in Stand gesetzt, die Segel verließen ihre Futterale und zeigten sich als vollkommen gut erhalten, und jedes Herz schlug freudig, als sie sich zum ersten Mal wieder im Hauch des Windes blähten. Das Schiff erbebte, denn wenn es sich auch noch nicht von der Stelle bewegen konnte, so hatte es doch seine Wasserlinie wieder gefunden und ruhte wieder in seinem natürlichen Element.
Im Monat Mai thaute es mit Macht, und der Schnee auf dem Ufer schmolz und bildete einen so dichten Schlamm, daß die Küste fast unzugänglich wurde. Ja, kleine, zartrosige, blasse Haidekräuter zeigten sich sogar unter der Schneedecke und schienen der geringen Wärme schüchtern zuzulächeln. Das Thermometer stand endlich wieder über Null.
Zwanzig Meilen südlich von dem Schiffe flutheten bereits vollständig losgelöste Eisschollen dem Atlantischen Ocean zu, und obgleich das Meer um die Jeune-Hardie noch nicht ganz frei war, stellte sich doch ein Fahrwasser her, das Ludwig Cornbutte zu benutzen gedachte.
Am 21. Mai, nach einem letzten Besuch bei dem Grabe seines Vaters, verließ Ludwig Cornbutte die Ueberwinterungsbai. Das Herz der Seeleute war voll Freude, aber auch voller Traurigkeit, denn Niemand verläßt gleichgiltig und ohne Wehmuth den Ort, wo er einen Freund sterben sah. Der Wind wehte aus Norden und begünstigte die Abfahrt der Brigg, aber oft wurde sie von Eisblöcken aufgehalten, die mit der Säge durchschnitten werden mußten, ehe das Schiff seine Fahrt fortsetzen konnte; denn wieder thürmten sich Eisschollen vor der Jeune-Hardie auf, und es mußten Mienen angelegt werden, um sie zu sprengen. So schwebte das Schiff noch während eines ganzen Monats in Gefahr und war oft nur um ein Haar breit von seinem Untergange entfernt, aber die Mannschaft hielt sich gut und war schwierige und gefahrvolle Manoeuvres gewöhnt; Penellan, Pierre Nouquet und Fidèle Misonne allein schafften so viel wie sonst zehn Matrosen, und Marie hatte für Jeden ein freundliches Wort und ein dankbares Lächeln.
Endlich, auf der Höhe der Insel Jan-Mayen, wurde die Jeune-Hardie ganz eisfrei, und am 25. Juni begegnete sie Schiffen, die zum Robben-und Wallfischfang nach Norden fuhren. Die Brigg hatte beinahe einen Monat gebraucht, um aus dem Eismeer zu kommen.
Am 16. August befand sich die Jeune-Hardie in Sicht von Dünkirchen; sie war von der Wache signalisirt worden, die ganze Hafenbevölkerung eilte ihr auf dem Damm entgegen, und bald drückten die Seeleute ihre Frauen und Kinder an die Brust.
Der alte Pfarrer empfing
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