Erzählungen
Matrose, ohne eine Miene zu verziehen.
– Heran, Ihr da!« commandirte der Bootsmann.
Sofort entblößten zwei kräftige Matrosen Crockston seiner wollenen Bluse, ergriffen das furchtbare Instrument und schwangen es schon, um die Operation zu vollziehen, als plötzlich der Lehrling John Stiggs außer sich und blaß wie der Tod auf das Verdeck stürzte.
»Kapitän, Kapitän! rief er.
– Ah so, der Neffe, bemerkte James Playfair.
– Herr Kapitän, schluchzte der Kleine hervor, nachdem er seine Aufregung so weit bekämpft hatte, daß er reden konnte, lassen Sie Crockston nicht schlagen, ich will Alles sagen, was er verschweigen wollte. Ja, es ist wahr, er ist ein Amerikaner, er und auch ich – wir alle Beide. Wir sind auch Feinde der Sklavenhalter, aber Spione sind wir nicht, Herr Kapitän, und nichts liegt uns ferner, als den Delphin zu verrathen und ihn den nordstaatlichen Schiffen zu überliefern.
– Was habt Ihr dann hier zu suchen gehabt?« fragte der Kapitän mit strenger Miene, indem er den Knaben von Kopf bis zu Fuß musterte.
Der Kleine zögerte ein wenig mit der Antwort, dann sagte er mit fester Stimme:
– »Herr Kapitän, dürfte ich wohl einige Minuten unter vier Augen mit Ihnen sprechen?«
Während John Stiggs sich zu dieser Bitte entschloß und sie dem Kapitän vortrug, hatte dieser ihn fortwährend genau beobachtet, das junge, sanfte Gesicht des Lehrlings, seine eigenthümlich sympathische Stimme, die Zartheit seiner Händchen, die sogar unter einer Lage Ruß kenntlich war, seine großen Augen, deren Erregtheit ihren sanften Ausdruck nicht beeinträchtigen konnte, kurz, das ganze Ensemble ließ einen Gedanken in dem Kapitän aufkommen, den er von Minute zu Minute mit größerer Gewißheit verfolgte.
Als John Stiggs seine Bitte ausgesprochen hatte, schaute Playfair fragend auf Crockston, der als Erwiderung nur mit den Achseln zuckte; dann sah er forschend zu dem Lehrling hinüber, aber dieser konnte den Blick des Kapitäns nicht ertragen, denn er erröthete heftig und schlug die Augen nieder.
»Kommen Sie«, sagte James Playfair zu ihm.
John Stiggs folgte seinem hohen Vorgesetzten auf’s Hinterdeck, und hier öffnete der Kapitän die Thür zu seiner eigenen Cajüte, stellte sich an den Eingang und sagte mit höflich einladender Handbewegung:
»Haben Sie die Güte einzutreten, Miß.«
John Stiggs, der vorher bleich gewesen war vor innerer Erregung, erröthete bei dieser Anrede über und über, und zwei große Thränen rannen aus seinen Augen.
»Bitte, beruhigen Sie sich, Miß, sagte jetzt James Playfair mit bei weitem sanfterer Stimme, und theilen Sie mir gefälligst mit, welchem Umstande ich die Ehre verdanke, Sie an Bord zu haben.«
Das junge Mädchen zögerte einen Augenblick mit der Antwort, als aber ein gütiger Blick des Skippers ihr neuen Muth eingeflößt hatte, entschloß sie sich zu reden:
»Herr Kapitän, ich wollte meinen Vater aufsuchen, er ist in Charleston; da aber die Stadt vom Lande her eingeschlossen und von der See aus blokirt ist, war es unmöglich durchzudringen, und ich befand mich nahezu in Verzweiflung. Da erfuhr ich, daß der Delphin die Blokade brechen wollte, und bot Alles auf, was in meinen Kräften stand, um mit auf Ihr Schiff zu kommen. Bitte, verzeihen Sie mir, daß ich ohne Ihre Einwilligung gehandelt habe, Herr Kapitän, aber wenn ich Ihnen mein Verlangen offen dargelegt hätte, würden Sie es mir aller Wahrscheinlichkeit nach verweigert haben.
– Gewiß würde ich das, bestätigte rückhaltlos James Playfair.
»Kapitän! Kapitän! rief er.« (S. 182).
– Dann habe ich also doch wohl daran gethan, Sie nicht darum zu bitten«, fügte die junge Dame mit festerer Stimme hinzu.
Der Kapitän schlug die Arme über einander und schritt einige Mal in seiner Cajüte auf und ab, dann blieb er stehen und begann von Neuem sein Verhör:
»Wie ist ihr Name?
– Jenny Halliburli.
– Ihr Vater ist, wenn ich aus der Adresse der aufgefangenen Briefe schließen darf, aus Boston?
– Demnach befindet sich dieser Mann des Nordens in einer Stadt des Südens, im Kriegsgetümmel der Vereinigten Staaten.
– Mein Vater ist gegenwärtig Gefangener, Herr Kapitän; er hielt sich bei den ersten Flintenschüssen des Bürgerkrieges, und als die Unionstruppen von den Conföderirten aus Fort Sumter vertrieben wurden, in Charleston auf. Die Ansichten meines Vaters gaben ihn dem Haß der Sklavenhalter preis, und so wurde er auf Befehl des Generals Beauregard gegen
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