Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
begreife Ihr Zögern sehr wohl, hub der Bürgermeister nach einer viertelstündigen Ueberlegungspause wieder an, ich begreife Ihr Zögern sehr wohl und billige es; wir dürfen vor eingehender Prüfung der Frage keinen bestimmten Entschluß fassen.
    – So viel ist gewiß, einen Civilcommissar haben wir in einer so friedlichen Stadt, wie Quiquendone, nicht nöthig, bemerkte Rath Niklausse.
    – Unser Vorgänger, sagte der Bürgermeister in ernstem Ton, unser Vorgänger würde nie gewagt haben zu behaupten, daß irgend etwas gewiß sei. Jede solche Versicherung ist unangenehmen Rückschlägen unterworfen.«

    Der Rath verneigte sich zum Zeichen seiner Zustimmung; dann hüllte er sich etwa eine halbe Stunde lang in tiefes Schweigen; während dieser Zeit waren Bürgermeister und Rath vollkommen ruhig gewesen, sie hatten auch nicht einen Finger gerührt. Endlich richtete Niklausse die Frage an Tricasse, ob sein Vorgänger – vor etlichen zwanzig Jahren – nicht auch den Gedanken gehabt habe, die Stelle eines Civilcommissars eingehen zu lassen und so der Stadt Quiquendone die Ausgaben einer Summe von jährlich 1375 Franken und so und so viel Centimes zu ersparen.
    »Allerdings, antwortete der Bürgermeister, indem er mit majestätischer Grandezza die klare Stirn berührte, allerdings; aber der würdige Mann ward uns entrissen, ehe er in Bezug auf diese wie auch manche andere Verwaltungsmaßregel einen Entschluß zu fassen gewagt hätte. Es war ein weiser Mann! warum sollte ich ihm nicht nachahmen?«
    Rath Niklausse wäre außer Stande gewesen, Gründe anzugeben, die diesen Ausspruch des Bürgermeisters entkräftet hätten.
    »Wenn ein Mensch stirbt, ohne in seinem Leben irgend eine Entscheidung getroffen zu haben, fügte Tricasse mit nachdrücklichem Ernst hinzu, so ist er nahe daran gewesen, die Vollkommenheit auf dieser Welt zu erreichen!«
    Nach diesen Worten drückte der Bürgermeister mit der Spitze seines kleinen Fingers auf ein Glöckchen, das hierauf einen Ton hören ließ, der mehr ein Seufzer als ein eigentlicher Klang zu nennen war, und fast unmittelbar darauf vernahm man leichte Schritte, die über die Fliesen der Hausflur herannahten. Eine Maus hätte nicht weniger Geräusch machen können, wenn sie über eine dichte Mokette 1 trippelte. Die Zimmerthür ging auf, indem sie sich auf ihren geölten Angeln drehte, und ein junges Mädchen mit langen blonden Flechten trat ein. Es war Suzel van Tricasse, die einzige Tochter des Bürgermeisters. Sie überreichte ihrem Vater seine kunstgerecht gestopfte Pfeife und ein kupfernes Kohlenbecken und verschwand als bald ebenso geräuschlos, wie sie gekommen war, ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben.
    Der Bürgermeister zündete nun den ungeheuren Feuerraum seines Rauchinstruments an und verschwand bald in einer dichten Wolke bläulichen Dampfes, während sich Rath Niklausse von Neuem den allertiefsten Ueberlegungen hingab.
    Das Zimmer, in dem diese beiden mit der Verwaltung von Quiquendone betrauten, angesehenen Persönlichkeiten also beriethen, war ein reich mit Sculpturen aus dunkelm Holz geschmückter Saal. Ein hoher Kamin, ein so enormer Heerd, daß man in ihm hätte einen Eichstamm verbrennen oder einen Ochsen braten können, nahm ein ganzes Fach der getäfelten Wand ein, und ihm gegenüber lag ein Gitterfenster mit geblendeten Scheiben, durch das die Sonnenstrahlen mit sanftem, gedämpftem Licht hereindrangen. Ueber dem Kamin hing in einem antiken Rahmen ein alterthümliches Portrait irgend eines Pfahlbürgers, das einen Ahnherrn derer van Tricasse darstellen sollte und Hemling zugeschrieben wurde. Der Stammbaum der Familie van Tricasse reichte authentisch bis in’s vierzehnte Jahrhundert zurück, einer Zeit, in der die Flamänder und Gui von Dampierre gegen den Kaiser Rudolf von Habsburg kämpften.
    Der beschriebene Saal bildete einen Theil des bürgermeisterlichen Hauses, eins der reizendsten Gebäude von Quiquendone: es war in echt flämischem Geschmack errichtet und mit all den malerischen und phantastischen Grillen und Ueberraschungen ausgestattet, welche die Spitzbogen-Architektur mit sich bringt. Wäre dies Haus ein Karthäuser-Kloster oder eine Taubstummenanstalt gewesen, so hätte es darin nicht ruhiger und stiller zugehen können: man wagte kaum aufzutreten und bewegte sich nur gleitend vorwärts; es wurde nicht laut gesprochen, sondern leise geflüstert, und doch fehlten dem Bürgermeisterhause nicht weibliche Bewohner, denn es beherbergte außer

Weitere Kostenlose Bücher