Erzählungen
Bellen, als rührte es von einem Wolfe her. Dann öffnete sich ein Schiebfenster über der Thüre des Sechs-Vier-Hauses.
»Zum Teufel mit dem Störenfried!« rief eine unangenehme, brummige Stimme.
Ein junges, von Regen fröstelndes und mit einer schlechten Hülle bekleidetes Mädchen fragte, ob der Doctor Trifulgas zu Hause sei.
»Er ist da oder nicht – das kommt auf den Umstand an.
– Ich komme wegen meines Vaters, der im Sterben liegt.
– Wo stirbt er denn?
– Da, in der Richtung des Karniuthales, vier Kertses von hier. – Und er heißt?…
– Vort Kartif.«
III.
Es ist ein hartherziger Mann, dieser Doctor Trifulgas, der keine Theilnahme kennt und seine Hilfe nur gegen Vorausbezahlung gewährt. Sein alter Hurzof, ein Bastard von Bulldogge und Spürhund, besaß vielleicht mehr Herz als er. Das gegen arme Leute ungastliche Sechs-Vier-Haus öffnete sich nur für die Wohlhabenden und Reichen. Hier ging übrigens Alles nach Tarif, so viel für den Typhus, so viel für eine Congestion und so viel für eine Herzbeutelentzündung, und für andere Krankheiten, welche die Aerzte ja dutzendweise erfinden. Der Kringelbäcker Vort Kartif war aber ein armer Mann und von niedrigem Herkommen. Warum sollte sich da der Doctor Trifulgas belästigen und noch dazu in einer solchen Nacht!
»Schon allein, daß ich aufstehen mußte, murmelte er, sich wieder niederlegend, müßte mindestens zehn Fretzers kosten!«
Kaum waren zwanzig Minuten verflossen, als der eiserne Hammer an der Thür des Sechs-Vier-Hauses auf’s Neue anschlug.
Mit einer Verwünschung erhob sich der Doctor wieder aus dem Bette und rief zum Fenster hinausgebeugt in die Nacht draußen:
»Wer ist da?
– Ich bin die Frau des Vort Kartif.
– Des Kringelbäckers aus dem Karnin-Thale?
– Ja, und wenn Sie es abschlagen, mitzukommen, wird er sterben.
– Nun gut, da würden Sie eben zur Witwe.
– Hier sind zwanzig Fretzers…
– Zwanzig Fretzers, um bis nach dem Karnin-Thale, vier Kertses von hier, zu gehen!
– Thun Sie es aus Barmherzigkeit!
– Gehen Sie zum Teufel!«
Das Fenster klappte wieder zu. Zwanzig Fretzers! Das wäre eine Aussicht! Einen Schnupfen zu riskiren oder eine Gelenksteifigkeit für zwanzig Fretzers, vorzüglich wenn man am anderen Morgen in Kilteno bei dem reichen gichtbrüchigen Edzingow erwartet wird, dessen Gicht sich so hübsch mit fünfzig Fretzers für jeden Besuch ausbeuten läßt!
Mit dieser höchst angenehmen Aussicht schlief Doctor Trifulgas noch fester als vorher wieder ein.
IV.
Frritt!… Flacc!… dann lauter schon Frocc!… Frocc!… Frocc…
Durch das Toben des Sturmwindes tönen jetzt drei, schon mit entschiedener Hand geführte Thürhammerschläge. Der Doctor schlief. Er erwachte von dem Schall, aber in welcher Laune! Als das Fenster aufging, drang der Orkan gleich einem Kartätschenhagel in’s Zimmer.
»Ich komme wegen des Kringelbäckers…
– Immer wieder dieser Unselige…
– Ich bin seine Mutter!
– Meinetwegen können Mutter, Frau und Tochter mit ihm zur Hölle fahren!
– Er hat einen schlimmen Anfall gehabt…
– Nun, so mag er sich wehren!
– Wir haben, fuhr die alte Frau fort, als Anzahlung auf unser Haus, das an den Reihefahrer Dontrup in der Messaglière-Straße verkauft ist, etwas Geld erhalten. Wenn Sie sich nicht erweichen lassen, zu kommen, wird meine Enkelin sehr bald keinen Vater, meine Tochter keinen Ehemann, und ich – ich werde keinen Sohn mehr haben!«…
Es war bedauerlich und schrecklich zugleich, die bittende Stimme der Alten zu hören, sich vorzustellen, daß der kalte Wind ihr das Blut in den Adern erstarren ließ, daß der Regen ihr selbst die Knochen unter dem mageren Fleisch durchnäßte.
»Ein Anfall, der kostet zweihundert Fretzers! antwortete der herzlose Trifulgas.
– Wir besitzen nur hundertzwanzig!
– Dann gute Nacht!«
Und wiederum schloß sich das Fenster. Doch wenn man’s recht überlegt – hundertzwanzig Fretzers für einen Weg von einundeinerhalben Stunde und einen halbstündigen Krankenbesuch – das macht immer noch sechzig Fretzers die Stunde – einen Fretzer die Minute; ‘s ist zwar nur ein geringer Profit, aber doch nicht ganz zu verachten.
Statt sich also noch einmal niederzulegen, schlüpft der Doctor in seinen dicken Flausrock, zieht sich große wasserdichte Stiefeln an, hüllt sich in seinen Mantel, stülpt den Schlapphut, der ihm die Ohren schützt, auf den Kopf und steckt die Hände in warmhaltende Handschuhe; die Lampe bleibt
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