Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
ins kleinste der bekannten Abbildung eines Totenkopfes.
    Mürrisch nahm Legrand das Papier entgegen, wollte es schon zerknittern und wahrscheinlich ins Feuer werfen, als ein zufälliger Blick auf die Zeichnung seine Aufmerksamkeit zu fesseln schien. Im selben Augenblick wurde sein Gesicht von glühendem Rot übergossen, gleich darauf wurde er totenbleich. Während einiger Augenblicke betrachtete er die Zeichnung auf das genaueste, dann nahm er eine Kerze vom Tisch und ließ sich auf einer Kiste nieder, die in der entferntesten Ecke des Zimmers stand. Hier betrachtete er das Papier noch einmal mit angstvoller Aufmerksamkeit von allen Seiten. Dabei sprach er kein Wort, und obwohl mich sein Betragen aufs höchste überraschte, hielt ich es doch nicht für ratsam, seine wachsende Verstimmung durch irgendeine Bemerkung zu erhöhen. Endlich zog er ein kleines Schreibheft aus seiner Rocktasche, legte das Papier sorgfältig hinein und verschloß beides in seinem Schreibpult. Nun wurde er allmählich ruhiger, doch war seine anfängliche Begeisterung ganz geschwunden. Er schien weniger verdrießlich als vollständig in Gedanken versunken zu sein. Je mehr der Abend vorschritt, desto tiefer vergrub er sich in seine Träumereien, aus denen ihn auch scherzhafte Bemerkungen nicht aufzurütteln vermochten. Ich hatte die Absicht gehabt, wie schon oft vorher die Nacht in der Hütte zuzubringen, doch da ich meinen Wirt in dieser Stimmung fand, hielt ich es für angebracht, mich zu verabschieden. Er drängte mich auch nicht zum Bleiben, doch schüttelte er mir beim Abschied die Hand mit ungewöhnlicher Herzlichkeit.
    Einen Monat später – ich hatte Legrand während der ganzen Zeit nicht mehr besucht – suchte mich sein Diener Jupiter in Charleston auf.
    Ich hatte den guten alten Neger noch nie so niedergeschlagen gesehen und fürchtete, daß seinem Herrn ein ernstliches Unglück zugestoßen sei. »Nun, Jup?« fragte ich, »was gibt’s? Was macht dein Herr?«
    »Soll ich sagen die Wahrheit, Massa, er nicht so wohl, als er sollte.«
    »Dein Herr befindet sich nicht wohl? Das tut mir wahrhaftig leid; worüber klagt er denn?«
    »Ja, das ist es – er klagen nie – aber sein doch sehr krank!«
    »Sehr krank, Jupiter? Warum hast du das nicht gleich gesagt? Liegt er zu Bett?«
    »Nein, er nicht liegen – er nicht wissen, wo der Schuh drückt; mein Herz schwer sein, für arme Massa Will.«
    »Ich bitte dich, Jupiter, drücke dich deutlicher aus. Du sagst, dein Herr sei krank; hat er dir denn nie gesagt, was ihm fehlt?«
    »Nun, Massa nicht brauchen sich aufregen darüber. Massa Will sagen, daß ihm gar nichts fehlen; aber was denn machen ihn so den Kopf hängenlassen und dann wieder dastehen steif wie ein Soldat und weiß im Gesicht wie eine Gans? Und was machen ihn immer die Figuren ansehen auf die Tafel – die tollsten Figuren, die ich gesehen in mein Leben? Muß jetzt immer ein scharfes Auge haben auf ihn. Vor ein paar Tagen er fortgelaufen, ehe die Sonne aufgegangen, und nicht zurückgekehren den ganzen lieben Tag. Ich einen dicken Stock geschnitten, um ihm verdammte Schläge zu geben, wenn er kommen zurück; ich doch nicht getan haben, weil er aussehen so elend und krank.«
    »Wie? – Was? Aber ja, du hast recht, sei nur nicht streng mit dem armen Mann; schlag ihn ja nicht; er kann Schläge nicht ertragen.
    Aber kannst du dir denn gar nicht denken, was diese Krankheit oder vielmehr diese Veränderung in seinem Benehmen verursacht hat? Ist ihm denn, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, irgend etwas Mißliches zugestoßen?«
    »Nein, Massa, nichts Schlimmes seit damals – ich fürchten, es vor damals – es war am selben Abend, an dem Sie bei uns gewesen sein.«
    »Wie? Was meinst du?«
    »Nun, Massa, ich meinen den Käfer – das ist’s.«
    »Wen?«
    »Den Käfer! Ich sicher wissen, daß Massa Will gebissen worden an Kopf von dem Goldkäfer.«
    »Und woher willst du das wissen?«
    »Krallen genug, Massa, und Maul auch. Ich nie gesehen solch verdammten Käfer; er kratzen und beißen alles, was zu ihm hinkommen.
    Massa Will ihn rasch gefangen und mächtig rasch ihn wieder laufen lassen; da muß Massa Will Biß bekommen haben. Ich nicht mochte Käfer anfassen mit mein Finger, hab ihn gefangen mit ein Stück Papier, das ich hab gefunden. Ich ihn hab gewickelt in das Papier und ihm davon gesteckt ein Stück in das Maul – das war recht.«
    »Und du glaubst also, dein Herr sei wirklich von dem Käfer gebissen und infolge des Bisses

Weitere Kostenlose Bücher