Erzählungen
plötzlich und durch einen unbegreiflichen Antrieb wurde ich für diesen Vorgang von tiefstem persönlichem Interesse erfüllt. Es war mir, als habe ich irgendeine bedeutende Rolle zu spielen, deren Tragweite ich jedoch nicht ermessen konnte. Gegen die mich umgebende Menge aber empfand ich einen tiefen Hass. Ich wich ihr aus und eilte auf einem Umweg hinunter – und hinein in die Stadt. Hier herrschte Kampf und wildester Aufruhr. Eine kleine Gruppe von Männern, teils in indischer, teils in europäischer Kleidung, die ein Herr in britischer Uniform befehligte, verteidigte sich gegen den anstürmenden Volkshaufen. Ich nahm einem gefallenen Offizier die Waffen ab, schloß mich der schwächeren Partei an und schlug wie ein Verzweifelter blindlings drauf los. Die Übermacht der Feinde zwang uns bald, in eine Art Kiosk Zuflucht zu suchen. Hier verbarrikadierten wir uns und waren für den Moment in Sicherheit. Durch ein Schlupfloch hinausspähend, gewahrte ich einen ungeheuren Volkshaufen, der in rasender Wut einen am Flußufer aufragenden glänzenden Palast umringte und zu stürmen versuchte. Plötzlich sah ich, wie sich aus einem oberen Fenster ein weibisch aussehender Mensch an einer Strickleiter herabgleiten ließ, die aus Turbanen seines Gefolges geknüpft worden war. Ein Boot lag bereit, das ihn sogleich an das gegenüberliegende Flußufer in Sicherheit brachte.
Und jetzt nahm ein neuer drängender Gedanke von meiner Seele Besitz. Ich richtete an meine Gefährten einige hastige, doch energische Worte und machte mit denen, die ich für meinen Vorschlag gewonnen hatte, einen kleinen Ausfall. Wir stürzten uns in die wogende Volksmasse. Man wich zunächst vor uns zurück. Bald aber stürmte die Menge wieder vorwärts, kämpfte wie toll und zog sich von neuem zurück.
Inzwischen hatte man uns vom Kiosk weit fortgedrängt, hinein in eine enge unbekannte Gasse, in deren finstere Tiefe die Sonne niemals einzudringen vermochte. Der Pöbel umringte uns, bewarf uns mit Speeren und überschüttete uns mit Pfeilen. Diese letzteren waren sehr eigentümlich und glichen in gewisser Hinsicht dem gewundenen Dolch der Malaien. Ihre Form ahmte die Gestalt der kriechenden Schlange nach, sie waren lang und schwarz, und ihre Spitze war vergiftet. Einer von ihnen traf mich an der rechten Schläfe. Ich taumelte und fiel. Entsetzliche Übelkeit erfaßte mich. Ich wälzte mich – ich rang nach Atem – ich starb.«
»Nun werden Sie kaum noch darauf bestehen wollen,« sagte ich lächelnd, »daß Ihr Abenteuer kein Traum gewesen sei. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Sie seien tot?«
Auf diese Worte hin erwartete ich natürlich irgendeinen lebhaften Einspruch von Bedloe zu vernehmen; zu meiner Verwunderung aber zögerte er, zitterte, erbleichte und blieb stumm. Ich sah auf Templeton.
Er saß so starr und aufrecht in seinem Stuhl – seine Zähne klapperten, und seine Augen drangen fast aus ihren Höhlen. »Weiter!« sagte er endlich mit heiserer Stimme zu Bedloe.
»Viele Minuten lang«, fuhr dieser fort, »war mein einziges Gefühl das der Dunkelheit und des Nichtseins bei dem Bewußtsein, daß ich tot sei. Auf einmal durchfuhr meine Seite eine plötzliche heftige Erschütterung, wie ein elektrischer Schlag. Gleichzeitig überkam mich ein Gefühl von Schwungkraft und Licht; letzteres sah ich nicht – ich fühlte es. Im selben Augenblick war es, als erhöbe ich mich vom Erdboden; aber ich hatte keine Körperlichkeit mehr, ich war nicht mehr sichtbar, hörbar und greifbar gegenwärtig.
Die Volksmenge hatte sich verlaufen. Der Tumult hatte aufgehört.
In der Stadt herrschte Ruhe. Unter mir sah ich meinen Leichnam liegen, in der Schläfe steckte der Pfeil, der ganze Kopf war unförmig aufgeschwollen. Doch alle diese Dinge fühlte ich nur – ich sah sie nicht. Ich hatte an nichts mehr Interesse. Selbst meine Leiche war eine Sache, die mich nichts mehr anging. Willenskraft hatte ich nicht, jedoch den zwingenden Antrieb, mich vorwärtszubewegen.
Ich schwebte zur Stadt hinaus und den gewundenen Pfad zurück, auf dem ich vorher herabgestiegen war. Als ich die Stelle der Bergschlucht erreichte, wo ich die Hyäne wahrgenommen hatte, empfand ich wieder einen Schlag wie von einer elektrischen Batterie; das Gefühl der Schwere, der Willenskraft, der Körperlichkeit kehrte zurück.
Ich wurde wieder mein früheres Selbst und lenkte meine Schritte eilig heimwärts – doch das Geschehene blieb in meinem Gedächtnis mit aller Eindringlichkeit
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