Erzählungen
durch eine andere wundersame Spalte in der Hügelkette.
Hier verläßt der Reisende das Schiff, das ihn bisher getragen, und besteigt ein leichtes, elfenbeinernes Boot, das außen und innen mit Arabesken in lebhaftem Scharlach geziert ist. Der Schnabel und der Schwanz des Schiffes erheben sich hoch über dem Wasser und endigen in einer scharfen Spitze, so daß das Ganze die Form einer unregelmäßigen Sichel hat und mit der stolzen Anmut eines Schwanes auf dem hellen Spiegel ruht. Auf dem mit Hermelin bedeckten Boden liegt ein Ruder aus Atlasholz, aber kein Diener, kein Ruderer ist zu sehen. Der Gast braucht jedoch nicht den Mut zu verlieren: die guten Geister nehmen sich seiner an. Das größere Schiff verschwindet, und er bleibt allein in dem Boot zurück, das regungslos in der Mitte des Sees liegt. Doch während er darüber nachdenkt, welche Richtung einzuschlagen sei, empfindet er eine sanfte Bewegung der zauberhaften Barke. Sie kreist langsam um sich selbst, bis ihr Schnabel gegen die Sonne gerichtet ist. Mit sanfter, doch stetig zunehmender Geschwindigkeit gleitet sie vorwärts, während das leichte Gekräusel, das sie hervorruft, sich als himmlische Melodie an den Elfenbeinwänden zu brechen scheint – und so die einzig mögliche Erklärung für die süße, melancholische Musik abgibt, nach deren geheimnisvollem Ursprung sich der staunende Reisende vergeblich umsieht.
Das Boot gleitet unterdessen immer weiter und nähert sich dem Felsentore, das die Durchsicht begrenzt. Zur Rechten erhebt sich eine Kette hoher, üppig bewachsener Hügel. Doch bemerkt man noch immer, daß die charakteristische Eigenschaft – größte Sauberkeit – selbst an der Stelle vorherrscht, wo die Ufer langsam ins Wasser sinken. Nicht das geringste Anzeichen von Uferschlamm oder von sonstigen Unreinlichkeiten ist zu entdecken. Die Ansicht zur Linken ist sanfter und trägt mehr den Anschein der Künstlichkeit. Hier steigt das Ufer sehr weich auf und bildet einen breiten Rasenteppich, der sammetglatt und so strahlend grün ist, daß er den Vergleich mit dem reinsten Smaragd aushalten kann. Die Breite dieses Plateaus schwankt zwischen zehn und dreihundert Ellen und reicht vom Flußufer bis zu einer Mauer, die sich, fünfzig Fuß hoch, in zahllosen Windungen, die jedoch im allgemeinen dem Flusse parallel laufen, dahinzieht, bis sie sich in der Ferne nach Westen hin verliert. Sie besteht aus einem einzigen fortlaufenden Felsen und ist dadurch entstanden, daß man den ursprünglich zerklüfteten Abhang am südlichen Flußufer in einiger Entfernung senkrecht abschnitt; doch nicht das geringste Zeichen dieser Arbeit ist zurückgeblieben.
Die Schnittfläche des Steines hat die Farbe von Jahrhunderten und ist mit Efeu, Geißblatt, Heckenrosen und Clematis üppig bewachsen.
Die Einförmigkeit der Boden- und Gipfellinie der Mauer wird durch hohe, prächtige Bäume angenehm unterbrochen, die einzeln oder in kleinen Gruppen auf dem Plateau der Mauer entlang und auf der Domäne hinter der Mauer, doch in ihrer nächsten Nähe, wachsen, so daß sie ihre langen Äste über dieselbe hinwegstrecken und bis in das Wasser tauchen. Eine undurchdringliche grüne Laubwand läßt dem Auge daher keinen Blick über die Mauer hin frei.
Dies alles beobachtet man, während das Boot der Stelle zugleitet, die ich das Felsentor, das die Durchsicht begrenzt, genannt habe. Je mehr man sich ihm nähert, desto mehr verliert man den Eindruck eines Abgrundes; man erblickt zur Linken einen neuen Ausweg aus der Bucht, und auch die Mauer läuft in dieser Richtung, immer den Fluß entlang, weiter. Das Auge kann jedoch nicht weit in diese neue Richtung hineindringen, denn Wasser und Mauer biegen sich immer mehr nach links, und bald ist die eine, bald das andere im Laubwerk verschwunden.
Der Kahn jedoch gleitet wie durch Zauber die Windungen hinab, und das der Mauer gegenüberliegende Ufer bietet hier denselben Anblick wie vor dem sogenannten Tore. Hohe Hügel, die sich zuweilen zu Bergen erheben und eine wilde, üppige Vegetation tragen, schließen noch immer jede Fernsicht seitlich aus.
Mit sanfter, doch stetig zunehmender Geschwindigkeit gleitet der Reisende vorwärts, bis er nach vielen kurzen Windungen seinen Weg plötzlich durch ein riesiges Tor aus gebräuntem Gold aufgehalten sieht, das, mit seltsam prächtigen Gravierungen und Ziselierungen geschmückt, die Strahlen der sinkenden Sonne zurückwirft, die mit ihren letzten Flammen den ganzen Wald ringsumher zu
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