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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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vorstehende Ende des Sarges erblickt?
    Miko war klug.
    Seine großen Augen sahen jetzt sehr traurig aus und er stampfte mit den dünnen Füßen fest in den weißen Staub hinein…
    *
    Das erste Dorf war vorbei.
    Wirklich – es wurde kühler. Miko durch klaren Trank erfrischt ging einen lahmen Trab. – Der Betteltoni, dem die Weiber im Dorf das Herz schwer gemacht hatten – weinte…
    Indessen stand die Sonne schon hart auf der Kante der Berge. Durch die Felder ging ein schmeichelndes, müdes Summen und Surren. Über den niedrigen Kartoffeln hin taumelten dufttrunkene Weißlinge irrten über die Straße herüber und rasteten mit wippenden Flügeln eine kleine Weile im durchsonnten Sande. – Auf der andren Seite wogten hohe Ähren; blaue Kornblumen und rother Mohn unterbrachen die Fläche, die aussah wie ein großer goldgleißender Schild besetzt mit Saphiren und Rubinen.
    Ruck!
    Miko stand.
    Er hatte sich zu viel zugemuthet. Der Trab war ihm an den Athem gegangen.
    »Öa Hot!«
    Micko rührt sich nicht.
    »Tsch! Tsch! Micko!«
    Miko streckt den Hals weit vor, hebt den einen Vorderfuß – – – –
    Umsonst.
    »Na, Mikerl, schau’ eine Stund’ noch …«
    Wieder ein vergeblicher Versuch.
    Toni seufzt. Er tritt zum Kopf des Thieres und fasst es beim Zügel. Dabei streicht er ihm fort über den Rücken, den ein Teig aus Staub und Schweiß deckt.
    Komm, komm! Gehen wir!
    Öa Hot! Öa Hot. Hü Hot! Hü Hot!
    Gott sei Dank.
    Langsam, ganz langsam …
    Toni dachte wieder an die Tote.
    Dem Miko, dem soll jetzt die ganze Liebe zutheil werden. Wenn sie nicht mehr ist …
    Eine halbe Stunde später.
    Miko ächzt.
    Durch die knöcheligen Beine geht ein Zittern.
    Toni springt herzu; »No, Mickerl, no …«
    Er thut ihm schön …
    Er fühlt wie das Thier bebt…
    »Gott im Himmel« was jetzt?
    Eine furchtbare Hilflosigkeit fällt dem armen Toni bleischwer und kalt aufs Herz. Da die Mutter tod und jetzt auch noch der Miko …
    »Bekommst gutes, gutes Futter!
    Nur die paar Schritte noch: …«
    Alles umsonst.
    Dem Toni ist’s zum Weinen.
    Weit und breit kein Mensch!
    Dass die Mutter auch hat müssen so einen Wunsch haben. –
    »Armer Miko … nur die paar Schritte«, muntert er wieder auf.
    Öa … Öa …
    Vergeblich. –
    Der Gaul hält sich kaum auf den Beinen. Sein Aug ist matt.
    Der Toni kann das nicht anschauen. Es thut ihm zu weh. – Er schluchzt wie ein Kind.
    Das(s) die Mutter hat müssen… fällt ihm fort ein…
    Und spät ist es auch. Heut kann er nimmer zum Herrn Pfarrer, – da kann er erst morgen früh… er murrt einen Fluch.
    Endlich kommt ihm ein Gedanke.
    Er nimmt die Truhe selbst auf die Schultern.
    So…
    Öa Hot, Hü! Hü! Hü!
    Jetzt gehts.
    Für zehn Minuten.
    Dann wieder: Halt.
    »Miko!« Ein Schreck durchzuckt den Toni.
    Der Miko liegt da. –
    Herr Gott!
    Der bestürzte Bursch stellt den Sarg beiseite in den Straßengraben.
    Dann springt er zu.
    Er betet, spricht zu, weint und tröstet – alles durcheinander.
    »Miko, mein Mikerl, sei gut, sei brav…«
    Er kniet bei dem Pferde.
    »Wenn ich dich so bitt… wenn ich dir sag, – Mikerl!«
    Und er bringt ihn wieder auf.
    Öa Hot! – Glücklich geht es fort – freilich ganz langsam…
    »O, mein guter Miko« betheuert der Bursch in einem fort. – Und er geht nebenher zieht den Wagen mit – und denkt nur an seinen armen matten Freund. – – – Aber der Wagen war leer und auch Toni trug keine Truhe mehr…
    »Mikerl, sehr brav nur paar Minuten… nur paar Minuten.«
    *
    So kam er ins Dorf. Die Leute wunderten sich was der Betteltoni da wollte mit dem leeren Gefährt. Aber keiner fragte ihn. – Beim ersten Bauer stellte der Bursch ein. Im Stall brach der Braune wie tod zusammen.
    Toni weinte.
    Er wandte alle Mittel an, das Thier zu sich zu bringen.
    Lange vergeblich.
    Endlich hob Miko ein wenig den Kopf. Ganz wenig nur. Aber das war dem Burschen schon ein großer Trost. – Er hub wieder seine Betheuerungen an: »Alles sollst du haben, Mikerl, alles«… Dabei rieb er dem Thier die Füße unaufhörlich – bis spät in die Nacht.
    Dann übermannte ihn die Müdigkeit. –
    Er schlief. Auf der weichen Streu hart neben dem Thiere…
    *
    Der Toni erwachte; rieb sich die Augen. Wo war er? Nichts fiel ihm ein als Miko!
    Da, ein Knecht hatte ihn schon versorgt.
    Miko stand und ließ sich das frische Futter trefflich schmecken!
    »Miko« jubelte der Bursch.
    Und der Braun wieherte.
    Der Betteltoni war schier verrückt vor Glückseligkeit – er

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