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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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ein gelber Streifen Feldes. Der war dem Toni zu eigen. Wenn der bestellt und besorgt war, dann pflegte er sich im Dorfe zu verdingen. Die Leute kannten ihn alle – und stießen sich an, wenn er mit schwerfälligem, schleppenden Schritt, die großen Kinderaugen ins Weite gerichtet, daherkam. Er aber kümmerte sich wenig um sie – und sah sich nicht einmal nach den rothwangigen Dirnen um, die dem drolligen Burschen laut nachkicherten! Der Betteltoni hatte nur zwei Wesen ins Herz geschlossen, und für die sorgte er tüchtig: den Miko, den alten Gaul, den er noch vom Vater selig her besaß – und sein Mütterchen.
    Heute munkelte man im Dorfe Tonis Mutter sei tod. Und wirklich! In der Chaluppe draußen stand im untersten Gelass über zwei Stühlen eine schwarze Truhe. Sie war bereits verschlossen und die leichtsinnigen Sonnenstrahlen des blauen Sommertages flochten goldene Ranken um das silberne, große Kreuz, das auf dem Deckel gemalt war. Kaum einen Schritt davor saß Toni. Die Ellenbogen auf die Knie, das knochige Kinn in die rothen Fäuste gestemmt. Thränen standen ihm hell in den Augen; er dachte an die kleine Frau mit den tausendfaltigen, grauen Wangen, dem trippelnden Gang – und wie sie so immer kleiner geworden war und immer zittriger und kindischer… So brütete der Bursche.
    Glock Zwölf erhob er sich. Er hatte einen Wunsch der Toten zu erfüllen: Unten im zweitnächsten Dorf, war sie geboren worden, die Mutter, – dorthin sollte er sie auch auf dem Gottesacker zu Ruhe bringen…
    Er machte ein Kreuz über Stirn und Brust. – Dann streckte er die breiten Arme nach rechts, nach links, gähnte, – und sann nach: Also, den Miko einspannen in den Streuwagen, die Truhe drauf – und dann überland fahren. – Er zählte an den dicken Fingern: eine Stund’, zwei, drei, vier – fünf… Teufel, dass das dem Gaul nur nicht zu viel wird… Und er zählte noch mal. Ja, es waren fünf Stunden… Toni machte ein sehr besorgtes Gesicht. Dann aber brummte er etwas. Es muss! Es muss! Er kann ja dann unten, wenn die Mutter den Frieden hat, übernachten und morgen früh erst heim… Er nickte sich verständnisvoll zu. Dann zog er den Streuwagen heraus, schürte den dürren, langhaarigen Braun an, holte die schwarze Kiste und legte sie quer auf das Gefährt. Ist ja gar nicht schwer – dachte er …
    Eine halbe Stunde später war der Toni mit seinem Fahrzeug mitten im sonnigen schwülen Staub der baumlosen Landstraße. Es ging langsam vorwärts, ganz langsam. Die paar Bauern, die dem traurigen Zuge begegneten hielten an und entblößten den Kopf. Die Weiber knieten am Straßenrand hin. Der Betteltoni bemerkte sie gar nicht; er war tief in Gedanken. – Jetzt, jetzt bist du ganz allein, sagte er sich nur noch der Miko; und in seinem Hirn trat jetzt abwechselnd bald die arme Mutter, bald der Gaul in den Vordergrund, diese beiden Wesen die in dem Mittelpunkte seines Daseins standen … Es war doch recht, recht traurig …
    Ein Ruck riss ihn auf. Miko stand still. Sein langhaariger Rücken glänzte. Ja, es hat eine Hitze! Toni wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Dann seufzte er: Noch nicht die Hälfte des Wegs, noch lang nicht …
    Geh, Miko, geh, öa Hot!
    Miko strengte sich an mit gesenktem Kopf.
    »Öa Hot!«
    Weiter gings – sehr langsam.
    Es hat eine Hitz! brummte der Bursch noch einmal. Dann senkte er den Blick von dem schimmernden Blau des wolkenlosen Himmels zum blendend weißen Staub der Landstraße.
    Auch ihn begann die große Hitze müd zu machen. Er zog die Füße lässig nach. Große Wolken wallten hinter seinen Schritten auf.
    Er dachte eine große Weile an gar nichts.
    Er schaute über die weiten mattgrünen Kartoffelfelder bis an die blauen Berge …
    Dann fiel ihm wieder die tote Mutter bei.
    »Öa Hot, Miko, öa hot!«
    Er faltete die Hände – und sprach ein Gebet – ganz leise. Der Staub aber machte ihm den Hals trocken.
    Er verstummte.
    Da, Miko stand schon wieder.
    Er strich ihm mit der Hand über den Hals.
    Sein fein brav, Freunderl, in einer Stund sind wir im ersten Dorf; dort bekommst Wasser, Wasser…
    Öa Hot!
    Weiter. –
    Im ersten Flecken da drunten, da hats schon die Hälfte. Dann wird’s ja auch Abend und kühler…
    Wird schon gehen…
    Miko aber zog aus Leibeskräften.
    Heut’ schien ihm das Fahrzeug gar so schwer.
    Lang hatte er so was nicht ziehen müssen.
    Was mags denn wohl sein.
    Dünger wieder mal.
    Und er wandte den Kopf ein wenig.
    Hatte er rechts das weit

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