Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
dieser Farbe, ihr Verbrauch ist sehr hoch, liegt bei jedem Mitarbeiter der »Statistik«.
Getöteten Flüchtlingen hackt man die Hände ab, damit man zur Identifizierung den Körper nicht überführen muss – zwei menschliche Hände in einer Militärtasche sind wesentlich bequemer zu überführen als Körper, als Leichen.
Das Täfelchen am Bein ist ein Zeichen von Kultur. Andrej Bogoljubskij hatte kein solches Täfelchen – man musste ihn anhand seiner Knochen identifizieren, auf Alphonse Bertillons Berechungen zurückgreifen.
Wir glauben an die Daktyloskopie – diese Erfindung hat uns nie im Stich gelassen, wie sehr sich die Kriminellen auch die Fingerspitzen verstümmelten, sie mit Feuer oder Säure verbrannten, ihnen mit dem Messer Wunden beibrachten. Die Daktyloskopie hat uns nicht im Stich gelassen – es gibt ja zehn Finger –, und sie alle zehn abzubrennen unterfing sich kein einziger Ganove.
Wir glauben nicht Bertillon – dem Chef der französischen Kriminalpolizei, dem Vater des anthropologischen Prinzips in der Kriminologie, das die Identität anhand einer Serie von Messungen, anhand des Verhältnisses der Körperteile zueinander feststellt. Bertillons Entdeckungen taugen höchstens für Künstler, für Maler – die Abstände zwischen Nasenspitze und Ohrläppchen haben uns nichts enthüllt.
Wir glauben an die Daktyloskopie. Fingerabdrücke abgeben, »Klavierspielen« können alle. Im Jahr siebenunddreißig, als alle aufgezeichnet wurden, die schon früher gezeichnet waren, legte jeder mit routinierter Bewegung seine routinierten Finger in die routinierten Hände des Gefängnismitarbeiters.
Dieser Abdruck wird auf ewig in der Lagerakte aufbewahrt. Die Tafel mit der Nummer der Lagerakte bewahrt nicht nur den Todesort, sondern wahrt auch das Geheimnis des Todes. Diese Nummer auf dem Täfelchen ist mit Graphit geschrieben.
Der Kartograph, der neue Wege auf der Erde bahnt, neue Straßen für die Menschen, und der Totengräber, der auf die Einhaltung der Begräbnisregeln, der Totengesetze achtet, müssen ein und dasselbe Werkzeug benutzen – den schwarzen Graphitstift.
<1967>
Ankerplatz der Hölle
Die schweren Türen des Laderaums öffneten sich über uns, und über eine schmale Eisenleiter stiegen wir einer nach dem anderen langsam an Deck. Die Begleitposten standen in geschlossener Reihe vor der Reling am Schiffsheck, die Gewehre auf uns gerichtet. Aber niemand beachtete sie. Jemand schrie – schneller, schneller, die Menge drängelte, wie auf jedem Bahnhof beim Einsteigen. Den Weg zeigten sie nur den ersten, an den Gewehren entlang zu dem breiten Steg – auf die Barke, und von der Barke über den anderen Steg – an Land. Unsere Schiffsreise war zu Ende. Zwölftausend Mann hatte unser Dampfer gebracht, und während sie an Land gingen, war Zeit, sich umzuschauen.
Nach den heißen, herbstlich sonnigen Tagen in Wladiwostok, nach den sehr reinen Farben des fernöstlichen Abendhimmels, makellos, klar, ohne Halbtöne und Übergänge, eingeprägt fürs ganze Leben …
Es fiel ein kalter feiner Regen aus dem weißlich-trüben, düsteren, einfarbigen Himmel. Nackte, waldlose, felsige grünliche Bergkuppen standen direkt vor uns, und in den Lichtungen dazwischen, unmittelbar an ihrem Fuß, hingen zottige schmutzig-graue zerrissene Wolken. Als ob die Fetzen einer riesigen Decke dieses düstere Bergland bedeckten. Ich erinnere mich gut: Ich war vollkommen ruhig, zu allem bereit, aber mein Herz begann zu schlagen und krampfte sich unwillkürlich zusammen. Ich wandte die Augen ab und dachte – sie bringen uns zum Sterben hierher.
Meine Jacke wurde allmählich nass. Ich saß auf meinem Koffer, den ich, in ewiger menschlicher Geschäftigkeit, bei der Verhaftung von zu Hause mitgenommen hatte. Alle, alle hatten Sachen dabei: Koffer, Rucksäcke, zusammengerollte Decken … Viel später begriff ich, dass die ideale Ausrüstung eines Verhafteten ein kleiner Leinenbeutel ist, und darin ein Holzlöffel. Alles Übrige, ob Bleistiftstummel oder Decke, ist nur lästig. Ja, wenn man uns etwas gründlich beigebracht hat, dann das Geringschätzen von persönlichem Eigentum.
Ich schaute den Dampfer an, der sich an den Kai drückte, so klein und hin- und hergeschaukelt von den grauen, dunklen Wellen.
Durch das graue Netz des Regens traten die düsteren Silhouetten der Felsen hervor, die die Nagajewo-Bucht umgeben, und nur dort, wo der Dampfer hergekommen war, zeigte sich der unendlich bucklige Ozean, als läge ein
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