Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
Vertreter der Intelligenz –, er machte seinen Rücken nicht weniger krumm.
»Was hat Ihnen
so
gefallen in Wishaicha?«
»Naja. Man ließ uns die Wäsche im Flüsschen waschen. Nach dem Gefängnis, nach der Etappe ist das eine große Sache. Außerdem das Vertrauen. Ein erstaunliches Vertrauen. Wir haben direkt am Fluss, am Ufer gewaschen, und die Wachsoldaten haben es gesehen und nicht geschossen! Haben es gesehen und nicht geschossen!«
»Der Fluss, in dem Sie gebadet haben, liegt in der Wachzone, im ringförmigen Gürtel der Wachtürme in der Tajga. Welches Risiko geht denn Bersin ein, wenn er Sie die Wäsche waschen lässt? Und hinter dem Wachturmring liegt der zweite Ring der Tajga-Geheimnisse – Patrouillen, Fahnder. Und dann kontrollieren die fliegenden Patrouillen einander noch gegenseitig.«
»Ja-a-a …«
»Und wissen Sie, was der letzte Satz war, mit dem mich die Wischera, Ihre und meine, verabschiedet hat, als ich im Herbst einunddreißig freigelassen wurde? Sie haben damals schon Ihre Wäsche im Flüsschen gewaschen.«
»Was denn?«
»Auf Wiedersehen. Sie haben eine kleine Außenstelle gesehen, sie werden auch noch eine große sehen.«
Wegen seines für den gewöhnlichen Menschen exotischen Beginns – die »Lockhart«-Verschwörung, Lenin, Dsershinskij! – und des tragischen Endes – Bersin wurde von Jeshow und Stalin im Jahr achtunddreißig erschossen – wächst sich die Bersin-Legende zu einer üppigen Blüte der Übertreibungen aus.
In der Lockhart-Affäre mussten alle Menschen in Russland wählen, eine Münze werfen – Adler oder Zahl. Bersin beschloss, Lockhart auszuliefern, zu verkaufen. Solche Schritte sind ja oft von Zufällen diktiert – schlecht geschlafen, und das Blasorchester vor dem Fenster hat zu laut gespielt. Oder der Lockhart-Emissär hatte etwas im Gesicht, das Widerwillen weckte. Oder der zaristische Offizier sah in seinem Schritt den Beleg seiner Hingabe an die noch nicht geborene Macht?
Bersin war der allergewöhnlichste Lagerchef und eifriger Erfüller des Willens seines Entsenders. Bersin beschäftigte in seinem Dienst an der Kolyma alle Leningrader OGPU-Leute aus den Zeiten der Kirow-Affäre . Dorthin, an die Kolyma, hatte man die Leute einfach dienstlich versetzt – das Dienstalter, die Aufschläge etc. blieben ihnen erhalten. F. Medwed, der Chef der Leningrader Abteilung der OGPU, war an der Kolyma Chef der Südlichen Bergbauleitung und wurde in der Bersin-Affäre erschossen, gleich nach Bersin, den man nach Moskau rief und bei Aleksandrow aus dem Zug holte.
Weder Medwed noch Bersin noch Jeshow noch Berman noch Prokofjew waren irgendwie fähige, irgendwie bemerkenswerte Leute.
Ruhm gab ihnen der Rock, der Rang, die Militäruniform, die Dienststellung.
Bersin tötete 1936 genauso auf Befehl von oben. Die Zeitung »Die Sowjetische Kolyma« ist voll von Nachrichten und Artikeln über die Prozesse, voll von Aufrufen zur Wachsamkeit und von Worten der Reue, von Aufrufen zu Härte und Schonungslosigkeit.
Während der Jahre sechsunddreißig und siebenunddreißig trat Bersin selbst mit diesen Reden auf – ununterbrochen, eifrig, voller Angst, etwas auszulassen, zu übersehen. Erschießungen von Volksfeinden fanden an der Kolyma auch im Jahr sechsunddreißig statt.
Eines der wichtigsten Prinzipien der Morde der Stalinzeit war die Vernichtung der einen Reihe von Parteifunktionären durch die andere. Diese wiederum starben durch neue – durch Mörder aus der dritten Reihe.
Ich weiß nicht, wer hier Glück hatte und in wessen Verhalten Gewissheit, Gesetzmäßigkeit lag. Und ist das auch so wichtig?
Bersin wurde im Dezember 1937 verhaftet. Er kam um, nachdem er für denselben Stalin getötet hatte.
Die Legende von Bersin zu zerstreuen ist nicht schwer, man muss sich nur die Zeitungen jener Zeit an der Kolyma ansehen – aus dem Jahr sechsunddreißig! Sechsunddreißig! Und natürlich siebenunddreißig. Die »Serpantinnaja«, das Untersuchungsgefängnis der Nördlichen Bergwerksverwaltung in dem Oberst Garanin im Jahr 1938 Massenerschießungen durchführte – diese Außenstelle wurde zu Bersins Zeit eröffnet.
Schwerer zu verstehen ist etwas anderes. Warum findet ein Talent nicht genügend innere Kräfte, um sich selbst zu achten und nicht vor der Uniform, vor dem Rang zu kriechen?
Warum modelliert ein begabter Bildhauer voller Begeisterung, Hingabe und Ehrfurcht irgendeinen GULag-Chef? Was zieht einen Künstler so gebieterisch an an einem GULag-Chef? Allerdings
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