Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
Amtsbefugnisse zu drei Jahren nach Artikel hundertzehn verurteilt. Uschakow verbüßte seine Haft in einem Jahr, blieb in Bersins Diensten und fuhr gemeinsam mit Bersin los, um die Kolyma aufzubauen. Und nicht wenige Leute saßen »wegen Uschakow«, als Verhinderungsmaßnahme – die vorbeugende Verhaftung … Uschakow war allerdings kein »Politiker«. Seine Sache war die Ermittlung, die Ermittlung von Flüchtigen. Uschakow war auch Chef der Verfahrensabteilungen an der Kolyma, er hatte sogar die »Rechte der Hftl./Hftl. « unterschrieben oder vielmehr die Regeln der Haltung von Häftlingen, die aus zwei Teilen bestanden: 1. Verpflichtungen: der Häftling muss, der Häftling darf nicht. 2. Rechte: das Recht auf Beschwerde, das Recht, Briefe zu schreiben, das Recht, ein wenig zu schlafen, das Recht, ein wenig zu essen.
In seiner Jugend war Uschakow Agent der Moskauer Kriminalpolizei gewesen, er hatte einen Fehler gemacht, bekam eine dreijährige Haftstrafe und fuhr an die Wischera.
Shigalow, Uspenskij und Pesnjakewitsch führten ein großes Lagerverfahren gegen den Chef der dritten Abteilung (Beresniki). Dieses Verfahren – um Schmiergelder, um falsche Berichterstattung – endete ergebnislos wegen der Standhaftigkeit einiger Häftlinge, die zur Untersuchung, unter Drohungen je drei, vier Monate in Lager-Isolationsgefängnissen saßen.
Eine zusätzliche Haftzeit war keine Seltenheit an der Wischera. So eine Haftzeit bekamen Lasarenko und Glucharjow.
Für Flucht bekam man damals keine Haftstrafe, es gab drei Monate Isolator mit Eisenboden, was für die Unbekleideten, nur in der Unterwäsche, im Winter tödlich war.
Ich wurde dort von den lokalen Organen zwei Mal verhaftet, zwei Mal mit Sonderkonvoj aus Beresniki nach Wishaicha gebracht, bin zwei Mal durch Untersuchungen und Verhöre gegangen.
Diesen Isolator fürchteten die Erfahrenen. Flüchtige und Ganoven flehten den Kommandanten der ersten Abteilung Nesterow an, sie nicht in den Isolator zu setzen. Sie wollen nie wieder, werden nicht fliehen. Und der Kommandant Nesterow zeigte die behaarte Faust und sagte:
»Na, suchs dir aus, Kinnhaken oder in den Isolator!«
»Kinnhaken!«, antwortete kläglich der Flüchtling.
Nesterow holte aus, und der Flüchtige kippte blutüberströmt um.
In unserer Etappe, im April 1929, machten die Begleitposten die Zahnärztin Soja Wassiljewna, verurteilt nach Artikel achtundfünfzig im Verfahren um den »Stillen Don« , betrunken und vergewaltigten sie jede Nacht kollektiv. In derselben Etappe war der Sektierer Sajaz. Er weigerte sich, zum Appell anzutreten. Der Begleitposten traktierte ihn bei jedem Appell mit den Füßen. Ich trat aus der Reihe, protestierte und wurde in derselben Nacht in den Frost hinausgeholt, nackt ausgezogen und stand solange im Schnee, wie der Begleitposten wollte. Das war im April 1929.
Im Sommer dreißig hatten sich im Lager Beresniki etwa 300 Häftlinge angesammelt, die nach Artikel vierhundertachtundfünfzig invalide geschrieben waren – zur Freilassung wegen Krankheit. Das waren ausschließlich Menschen aus dem Norden – mit schwarzblauen Flecken, mit Brüchen vom Skorbut und mit Stümpfen von den Erfrierungen. Selbstverletzer wurden nach Artikel vierhundertachtundfünfzig nicht freigelassen, und bis zum Ende ihrer Haftzeit oder ihrem zufälligen Tod lebten die Selbstverletzer in den Lagern.
Der Chef der Lagerabteilung Stukow hatte anfangs zu Heilungszwecken Spaziergänge verfügt, aber alle Transithäftlinge verweigerten den Spaziergang – dann wirst du womöglich noch gesund und landest wieder im Norden.
Ja, mit dem Norden machte man Pokrowskij nicht umsonst Angst. Im Sommer 1929 sah ich zum ersten Mal eine Etappe aus dem Norden – eine lange staubige Schlange, die den Berg hinabkroch und von weitem zu sehen war. Dann blitzten durch den Staub die Bajonette auf, dann die Augen. Zähne blitzten dort nicht, sie waren vom Skorbut ausgefallen. Die geplatzten, trockenen Münder, die grauen solowtschanka -Mützen, die Tuch-Ohrenklappen, die Tuch-Jacken, die Tuch-Hosen. Diese Etappe hat sich mir für das ganze Leben eingeprägt.
Gab es das alles nicht unter Bersin, an dessen Steigbügel Ingenieur Pokrowskij bebte?
Das ist ein schrecklicher Zug des russischen Charakters – die erniedrigende Unterwürfigkeit und Ehrfurcht vor jedem Lagerchef. Der Ingenieur Pokrowskij ist nur einer von Tausenden, die bereit sind, einen großen Chef anzubeten, vor ihm zu katzbuckeln.
Der Ingenieur – ein
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