Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
die Lockhart-Affäre, Arbeit mit Dsershinskij. Ein Wunder.«
»An den General-Gouverneur?«
»Ganz genau. Ich kann Ihnen sagen, ohne mich zu verstecken und mich zu schämen – ich habe selbst etwas für Russland getan. Und auf meinem Gebiet bin ich, scheint mir, auf der ganzen Welt bekannt. Mein Fachgebiet ist Wasserversorgung. Mein Name – Pokrowskij, haben Sie gehört?«
»Nein, habe ich nicht gehört.«
»Da kann man nur lachen. Ein Tschechowsches Sujet – oder, wie man heute sagt, Modell. Das Tschechowsche Modell aus der Erzählung ›Der Reisende erster Klasse‹. Naja, vergessen wir, wer Sie sind und wer ich bin. Begonnen habe ich meine Ingenieurskarriere mit der Verhaftung, mit dem Gefängnis, mit der Anklage und dem Urteil zu zehn Jahren Lager wegen Sabotage.
Ich war in der zweiten Welle der Schädlings-Prozesse: den ersten, den Schachty-Prozess, haben wir noch gebrandmarkt, verurteilt. Wir waren als zweite dran – das Jahr dreißig. Ins Lager kam ich im Frühjahr einunddreißig. Was war das mit den Schachty-Leuten? Ein Blödsinn. Eine Einübung, die Vorbereitung der Bevölkerung und der eigenen Kader auf gewisse Neuheiten, die siebenunddreißig klar wurden. Aber damals, im Jahr dreißig, war eine Haftstrafe von zehn Jahren überwältigend. Eine Haftstrafe – wofür? Die Willkür ist überwältigend. Und dann bin ich schon an der Wischera und baue, errichte etwas. Und kann vom obersten Chef empfangen werden.
Bersin hatte keine Empfangstage. Jeden Tag schickte man ihm ein Pferd zum Kontor, gewöhnlich zum Reiten, manchmal eine Kutsche. Und bis der Chef im Sattel saß, empfing er jeden Häftling, der ihn sprechen wollte. Zehn Mann am Tag, ohne Bürokratie, selbst einen Ganoven, selbst einen Sektierer, selbst einen russischen Intelligenzler. Übrigens wandten sich weder Ganoven noch Sektierer mit Bitten an Bersin. Eine Warteschlange. Am ersten Tag kam ich hin, war zu spät – ich war der elfte, und als zehn Mann durch waren, setzte Bersin das Pferd in Bewegung und galoppierte zur Baustelle.
Ich wollte mich während der Arbeit an ihn wenden – die Kameraden rieten ab, ich sollte die Sache nicht verderben. Reglement ist Reglement. Zehn Mann am Tag, bis der Chef im Sattel sitzt. Am nächsten Tag war ich früher da und kam dran. Ich bat darum, mich mitzunehmen an die Kolyma.
An dieses Gespräch erinnere ich mich, an jedes Wort.
›Wer bist du?‹, Bersin schob das Pferdemaul mit der Hand beiseite, um besser zu hören.
›Ingenieur Pokrowskij, Bürger Natschalnik. Ich arbeite als Abschnittschef bei Wischchims. Ich baue den Hauptblock, Bürger Natschalnik.‹
›Und was willst du?‹
›Nehmen Sie mich mit an die Kolyma, Bürger Natschalnik.‹
›Was hast du für eine Haftzeit?‹
›Zehn Jahre, Bürger Natschalnik.‹
›Zehn? Ich nehme dich nicht. Wenn du drei oder fünf hättest, das wäre etwas anderes. Aber zehn? Das heißt, da ist etwas. Da ist etwas.‹
›Ich schwöre, Bürger Natschalnik …‹
›Na schön. Ich schreibe dich ins Buch. Wie ist dein Name? Pokrowskij. Ich schreibe dich auf. Du bekommst Antwort.‹
Bersin setzte das Pferd in Bewegung. An die Kolyma nahm er mich nicht mit. Ich erhielt die Vorfristige auf derselben Baustelle und fuhr hinaus aufs große Meer. Arbeitete überall. Aber besser als an der Wischera, besser als unter Bersin war die Arbeit für mich nirgends. Die einzige Baustelle, wo alles fristgerecht fertig wurde, und wenn nicht fristgerecht, dann wird Bersin den Befehl erteilen, und alles erscheint wie von selbst. Die Ingenieure (Häftlinge, man denke nur!) erhielten das Recht, Leute bei der Arbeit festzuhalten, um die Norm überzuerfüllen. Wir alle bekamen Prämien, wurden zur Vorfristigen vorgeschlagen. Die Anrechnung von Arbeitstagen gab es damals nicht.
Und die Leitung sagte uns: Arbeitetet gewissenhaft, wer schlecht arbeitet – wird weggeschickt. In den Norden. Und sie zeigten mit der Hand wischeraaufwärts. Aber ich weiß gar nicht, was der Norden ist.«
Ich kannte Bersin. Von der Wischera. An der Kolyma, wo Bersin starb, habe ich ihn nicht gesehen – man hat mich zu spät an die Kolyma gebracht.
General Groves hatte volle Verachtung für die Gelehrten des »Manhattan-Projekts« . Und scheute sich nicht, diese Verachtung zu äußern. Was war allein das Dossier Robert Oppenheimers wert. In seinen Memoiren erklärt Groves seinen Wunsch, den Generalsrang eher zu bekommen als die Ernennung zum Chef des »Manhattan Projekts«: »Ich musste oft
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