Es begann im Birkenhain (Heimatroman) (German Edition)
plötzlich von seiner Schwester wissen.
Barbara wurde rot.
»Wen meinst du?« fragte sie stockend, obwohl sie ganz genau wusste, wen er meinte.
»Na, an den Martin«, sagte Anderl. »Als man ihn damals fortbrachte, da hab ich ja gar nit gewusst, um was es eigentlich ging. Hab einfach nit begreifen können, dass so über ihn bestimmt wurde.«
»Ja«, sagte Barbara nachdenklich, »es ist ja alles schon so lang her. Keiner von uns weiß mehr genau, wie es damals im Birkenhain zu dem Unglück gekommen ist. Wir müssen die Vergangenheit ruhen lassen, Anderl, und in die Zukunft blicken.«
»In die Zukunft!«, stieß der junge Gastwirtssohn bitter hervor. »Schau dir doch meine Beine an. Wo hegt dann da eine Zukunft? Krachdürr und mager sind sie, weil nit einmal mehr Muskeln dran sind. Weißt du was, Barbara? Manchmal denk ich, dass sich das Leben für mich überhaupt nimmer lohnt. Da wünsch ich mir in der Früh nimmer aufwachen zu müssen.«
»Hör auf mit einem solchen Schmarrn«, fuhr sie heftig und erschrocken dazwischen. »Sei froh, dass dir der Herrgott das Leben nit genommen hat. So darf man nit daherreden.«
»Ja, 's Leben hat er mir nit genommen, aber was für eins hat er mir denn gegeben? Hör mir doch auf mit deinem Herrgott.«
Da schwieg sie. Sie wusste, dass sie selbst sehr oft zweifelte. Ihre Gebete waren allmählich versiegt, als sie zu erkennen glaubte, dass es halt doch keine Änderung geben würde. So wie es war, so war es eben, und ein jedes von ihnen musste versuchen damit fertig zu werden.
Oftmals griff es Barbara arg an, wenn sie daran dachte, dass der Vater dem Jaus-Martin niemals verziehen hatte. Oftmals musste Barbara daran denken, dass Christian es gewesen war, der diese Lüge über seine Lippen gebracht hatte. Vielleicht lag es auch daran, dass Christian deshalb nicht den rechten Zugang zu Barbara finden konnte. Aber genau wusste man das natürlich nicht zu sagen. '
»Mir ist ein bissel kalt«, klagte Anderl.
»Dann nimm meine Jacke«, meinte sie und zog ihre Jacke aus. Sie hängte ihm diese fürsorglich um die Schultern.
»Du bist so gut zu mir, Barbara«, flüsterte der junge Mann.
»Ich bin deine Schwester«, erwiderte sie darauf. So, als wäre alles das Selbstverständlichste von der Welt.
»Der Vater ist nit so gut zu mir!« stieß Anderl hervor. »Ich mein grad manchmal, dass er mich hasst.«
»Geh weiter! Wie kannst du denn bloß so was sagen«, widersetzte Barbara sich. »Der Vater hasst dich doch nit. Man muss ihn halt verstehen.«
»Wer versteht mich denn?« fragte Anderl.
»Ich«, antwortete Barbara schlicht. »Ich versteh dich, und ich weiß, dass deine Tage nicht leicht sind. Aber man darf doch nit den Mut verlieren. Vielleicht wird es irgendwann doch einmal wieder anders.«
»An diesem ewigen Hin und Her und an diesem Vielleicht bin ich schon manchmal fast erstickt, Barbara«, gab Anderl zu. »Wie gern tät ich mit einem netten Madl Zusammensein. Hätt Kinder und eine Familie. Wenn ich an das denk, was noch vor mir liegt, dann graust mir so arg, wie ich es dir gar nit sagen kann.«
Barbara schluckte einige Male, denn sie wusste wirklich nicht, was sie ihm darauf entgegnen sollte. Manchmal war sie nicht weniger hilfloser als er.
Eine gute halbe Stunde blieben sie draußen, plauderten noch ein wenig über dies und jenes. Dann fuhr Barbara ihren Bruder wieder zum Haus zurück.
»Jetzt geh und sei ein bissel lustig, Madl«, verlangte die Löwin-gerin von ihrer Tochter.
Barbara lächelte.
»Ach, Mutter«, sagte sie, »man kann nit alleweil nur lachen und juchzen.«
»Bist du denn nit zufrieden, Madl? Schau den schönen Granatschmuck an, den du zu deinem großjährigen Geburtstag bekommen hast.«
»Er ist wirklich wunderschön, der Schmuck«, bekannte Barbara. »Aber ich ...«
Ihre Stimme war abgebrochen.
»Aber was?« fragte Hanna Löwinger bang.
»Ach, nichts, Mutter. Manchmal haben wir halt alle unsere eigenen Wünsche, über die wir mit einem anderen nit sprechen mögen.«
»Ein sonderbares Gerede hast du schon«, sagte die Löwingerin fast etwas ungehalten. »Du hast doch alles, was du brauchst. Es gäb doch eigentlich nix, worüber du dich zu beklagen hättest.«
»Ich beklag mich doch nit, Mutter«, erklärte Barbara. »Ich bin zufrieden und alleweil voller Hoffnung. Ist denn das nit genug?«
»Doch, Madl«, flüsterte Hanna. »Es ist genug.«
*
Mit weit ausholenden Schritten kam der junge Bursche den Hang herauf. Die Luft roch nach Erde
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