Es bleibt natürlich unter uns
ich es denn mit lauter Narren zu tun! Weshalb habt ihr mir das nicht gleich gesagt?“
„Weil ich an diesem Brocken selber noch würge!“ murmelte ihr Sohn und sammelte Speichel im Munde.
Die alte Dame erhob sich mit erstaunlicher Leichtigkeit. Den Stock, den sie seit zehn Jahren, wo sie ging und stand, mit sich herumtrug, benötigte sie nicht; er war nichts als ein Symbol ihrer Herrschaft über das Haus, und vielleicht eine Drohung, daß sie sich, falls es notwendig werden sollte, den ihr gebührenden Respekt mit Gewalt verschaffen würde.
„Wo ist Johanna?“
„In ihrem Zimmer...“ , antwortete Frau Klapfenberg demütig.
„Wir reden später noch davon...!“ sagte die alte Frau, nickte dem Sohn und der Schwiegertochter zu, als hätte sie ihnen den Befehl erteilt, tüchtig weiterzuarbeiten, und ging, die Zwinge kräftig aufstoßend, aus dem Kontor, um sich in die Privaträume hinauf zu begeben. Sie nahm die beiden Treppen ohne sonderliche Anstrengung, ging oben schnurstracks auf das Zimmer ihrer Enkelin zu und wollte die Tür öffnen. Aber die Tür war verschlossen.
„Los, mach auf!“ sagte sie ungeduldig, „und sei nicht albern! Meinetwegen brauchst du dir das Gesicht nicht abzuwaschen!“ Sie schlug mit der Krücke dreimal kurz gegen die Tür, und als hätte sie das Holz mit einem Zauberstab berührt, ging die Tür plötzlich auf. Die Stores waren zugezogen. Das Zimmer, mit hübschen Biedermeiermöbeln ausstaffiert, lag im Halbdunkel, und die Farben der seidenen Sesselbezüge, Streifen in einem zarten Altrosa und silbrigen Grün, schwammen ineinander. Das Bett war zerwühlt, als hätte Jo ihren Kummer gerade in die Kissen geweint. Sie flüchtete, während ihre Großmutter auf einem Sessel Platz nahm und ihren Stock auf dem ovalen Tisch aus hellem Birkenholz ablegte, zum Tisch zurück und setzte sich schmal auf die Kante.
„Heul dich ruhig aus“, sagte die alte Dame, „das macht die Brust frei.“
Sie raschelte mit ihrem schwarzen Satinrock und holte aus der Tasche ihres steifen Untergewandes eine Dose in der Form eines altmodischen Damenstiefelchens. ,Souvenir à Paris’ stand in abgegriffenen Buchstaben auf der Sohle. Die alte Dame nahm mit spitzen Fingern eine Brise Brasil heraus und sog den Schnupftabak geräuschvoll in beide Nasenlöcher.
„Im wievielten Monat bist du?“ fragte sie resolut.
„Im vierten...“, antwortete Jo kaum hörbar.
„Hm...“murmelte die Alte.
Jo richtete sich auf, sie starrte ihre Großmutter aus unnatürlich erweiterten Pupillen an, sie waren schwarz und glänzten wie geschliffener Jade. — „Nein!“ sagte sie wild, „nie...!“
Die alte Dame hob den Habichtskopf mit einem kleinen Ruck empor: „Was hast du?“ fragte sie, „spinnst du plötzlich?“
Jo sank in sich zusammen, ihre Schultern wurden von einer übermächtigen Kraft geschüttelt.
„Nimm dich zusammen, Kind“, sagte die alte Frau sanft, „du wirst deine Kräfte in der Zukunft brauchen. — Wie hast du dir das Weitere gedacht?“
„Ich werde von hier verschwinden, — irgendwohin, in die Schweiz vielleicht oder in den Schwarzwald...“
„Schmarrn! Schweiz, Schwarzwald... da wimmelt es von Bekannten. — Ich bin deinem Großvater mal ausgerückt. Es ist fast fünfzig Jahre her. Er hatte mit einer Bedienung vom Pfarrbräu ein Gspusi angefangen, der alte Halodri, — und wen treffe ich in
Genf auf der Seepromenade? Aber lassen wir das...Jedenfalls
bist du vor Aldenberg nirgends auf der Welt sicher. Ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Wir reden darüber noch, verstanden?“
„Ja, Großmama“, schluchzte sie, „du bist sehr lieb zu mir...“
„Ach was! Ich bin der einzige in dieser Familie, der einen klaren Verstand hat. Man muß wissen, was man will. — Sie haben mir unten gesagt, daß du den Mann nicht heiraten willst. Dafür wirst du deine Gründe haben. Aber gibt es denn gar keinen Weg, um die Geschichte wenigstens nach außen hin mit Anstand ins Lot zu bringen?“
„Ich verstehe nicht, wie du es meinst..
Die alte Dame putzte sich die Nase. Sie benutzte dazu ein großes, dunkel gewürfeltes Taschentuch, wie es unten im Laden an die schmalzlerschnupfenden Bauern verkauft wurde.
„Was ist das eigentlich für ein Mensch, mit dem du dich fast jeden Abend an der Brücke triffst? — Jaja, ich meine den jungen Mann von der Zeitung. Ich habe mich beim Lobmüller Alois nach ihm erkundigt...“
„Um Himmels willen!“ seufzte Jo und schloß entsetzt die
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