Es bleibt natürlich unter uns
Schlag bekommen.
„Nein...“, sagte sie tonlos, „das habe ich von dir nie verlangt. — Mir ist auch nicht sehr fröhlich zumute. Daran hättest du vielleicht einmal denken können. Aber du kennst in deiner entsetzlichen Selbstgerechtigkeit nur zwei Gedanken: den Ruf der Firma und das Geld!“ Sie schluchzte kurz auf und rannte aus dem Kontor, bevor er etwas erwidern konnte.
Er blieb mit einem etwas törichten Ausdruck zurück. Die grelle Deckenbeleuchtung tuschte Schatten in sein volles Gesicht, die ihn älter machten, als er in Wirklichkeit war, sie untermalte die Tränensäcke unter seinen Augen und kerbte scharfe Falten in seine Wangen. Er wußte nicht, was er falsch gemacht hatte, im Gegenteil, er hatte das Gefühl, sich bezwungen zu haben. Ihm war das gelungen, was er sich heute im Gebete gewünscht hatte, seiner Tochter ohne Zorn und ohne Groll zu begegnen. — Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein... Hatte er einen Stein geworfen? Aber sie hatte es gewagt, ihm vorzuhalten, daß er an den Ruf seiner Firma und an ihre finanzielle Sicherung dachte! Was wußte dieses Mädchen davon, was für Mühen und Entbehrungen es gekostet hatte, aus dem armseligen Restegeschäft mit dem einen winzigen Schaufensterchen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, dieses Warenhaus mit seiner Acht-Fenster-Front zu machen? Er war nicht umsonst mit seinen sechzig Jahren so gealtert und verbraucht. Das Herz funktionierte nicht mehr; Kreislaufstörungen, die Leber und auch der Magen machten ihm zu schaffen. Lauter nervöse Erscheinungen, Abnutzungserscheinungen... Aber war das ein Wunder? Mit vierzehn Jahren hatte er seinen Vater schon begleitet, wenn der mit dem Bauchladen über Land zog. Gewiß, der Alte war ein bißchen kurzsichtig gewesen, aber doch nicht so sehr, daß er es nötig gehabt hätte, an der Hand geführt zu werden. Aber vor dem armen blinden Mann, den sein Bub an der Hand durch den Hof in die Stube geführt hatte, waren selbst die härtesten Bauernschädel weich geworden. — Und dann die Lehrjahre in Rosenheim. Man war zu seiner Zeit mit den Lehrbuben nicht sehr sanft umgegangen, und satt war man von den Maulschellen auch nicht geworden. Dann die Gehilfenjahre in Trostberg und Traunstein, wo er seine Frau kennengelernt hatte, die damals Verkäuferin beim Kerscher gewesen war. Und dann der Tod des Vaters, der in den letzten Lebensjahren wirklich blind geworden war, und die Übernähme des winzigen Geschäfts in Aldenberg, in das sie beide ihre ganzen Ersparnisse hineingesteckt hatten. Dann der Krieg, den er drei Jahre lang an der Front mitgemacht hatte, bis der Lungenschuß ihn für zwei Jahre ins Lazarett warf. —
Er rieb sich die brennenden Augen. Das grelle Licht tat ihm weh. Aber er war zu schlaff, um aufzustehen und an den Schalter zu gehen. Die kleine Schreibtischuhr lärmte unerträglich laut. Der alte Klapfenberg stützte sich auf die Ellenbogen und preßte die Hände gegen die Ohren. Immer noch sah er verwirrt aus, als könne er es nicht fassen, womit er das verdient hatte, was ihm widerfahren war. — Hatte seine Frau ihm nicht oft genug vorgeworfen, daß er die Kinder zu streng erziehe? — Zu streng! Nicht streng genug. Aber irgendwo war auch der väterlichen Autorität eine Grenze gesetzt. Die Kinder wuchsen heran und in ihr eigenes. Leben hinein. Die Zwanzigjährigen konnte man nicht mehr über-wachen, als ob sie zehn Jahre alt seien. Aber man blieb verantwortlich. Und nachdem es nun einmal geschehen war, wäre er damit einverstanden gewesen, daß Johanna diesen Menschen heiratete. Er brauchte nicht aufzustehen, um die Auskunft aus dem Panzerschrank zu holen, die er über diesen Mann eingeholt hatte. Er kannte sie auswendig. Niemals hätte er es gestattet, daß dieser Mensch sein Haus betrat, — auch als Schwiegersohn nicht. Er wäre bereit gewesen, ihm die Mittel zur Gründung einer Existenz zur Verfügung zu stellen, mit ein paar Klauseln natürlich, die es diesem Herrn van Dorn verwehrten, Johannas Vermögen gänzlich zu verpulvern. Johannas Weigerung, diesen Mann zu heiraten, hatte ihn zunächst wie ein Schlag getroffen. Und trotzdem hatte sie ihn von einem Alpdruck befreit.
Was ihn empörte und worüber er nicht hinwegkam, waren die Worte, mit denen sie aus dem Kontor gelaufen war. Wieder färbte eine Welle des Zorns seinen Hals dunkel und stieg ihm rot bis in die Stirn hinauf. Für wen hatte er denn geschuftet und gespart, wenn nicht für seine Kinder! Statt sich zu ducken, hatte
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