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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein roter Fleck. Dieses Rot wird mich nie verlassen. Es wird mein Schicksal werden! Ich spüre es irgendwie … mit Rot wird einmal alles zu Ende gehen …
    Matilda stand unter dem roten Segel, gegen den Wind geschützt durch den Aufbau der Kajüten, und blickte zurück zu dem langsam entschwindenden St. Petersburg. Gegen den Himmel zeichneten sich die Türme und Kuppeln ab, die breit gelagerten Paläste und Regierungsbauten, die Große und die Kleine Newa mit ihren vielen Brücken, die vorgelagerten Inseln, die Weiten und Wälder auf den großen Inseln … eine Stadt, die man das Venedig des Ostens nannte. Zu Stein gewordene Schönheit.
    Ein Hymnus auf die Ewigkeit Rußlands.
    Boris Davidowitsch stand neben ihr und hatte seinen Arm um sie gelegt.
    Aronow war unter Deck und hustete. Er war schon so oft aus St. Petersburg weggefahren, daß ihn dieser Anblick einer in der Ferne versinkenden Stadt nicht mehr rührte. Er saß in seiner Kajüte, trank glühheißen Tee und bereitete sich auf eine massive Seekrankheit vor.
    Er kannte das. Immer, wenn er mit einem Schiff fahren mußte – und das ließ sich bei Reisen nach England nicht vermeiden – überfiel ihn spätestens nach einer Stunde diese Übelkeit, die ihn nahe ans Sterben brachte. Er haßte deshalb das Meer und hatte in seinem Testament angeordnet, daß man ihn nach seinem Tod im Meer versenken sollte.
    »Es soll durch mich belästigt werden!« schrieb er. »Und für mich wird es eine Freude sein, mit meinem Körper dieses verfluchte Wasser zu verschmutzen!«
    »Wir werden nach St. Petersburg zurückkehren, nicht wahr, Borja?« fragte Matilda leise. »Irgendwann einmal …«
    »Ja. Irgendwann. Sicherlich …«
    »Wir sind nur auf Reisen! Unsere Heimat wird immer Rußland sein …«
    »Immer, Matilduschka.«
    »Wird es lange dauern, bis wir zurückkommen?«
    »Wer weiß das? Im nächsten Jahr jedenfalls nicht.«
    »Nicht?« Sie sah ihn entsetzt an.
    Er schüttelte den Kopf. »Das Jahr 1895 heißt: Rom, Wien, Mailand, Berlin, London und Paris …«
    »Und wo werden wir wohnen? Immer nur in einem Hotel?«
    »Chamitja Maximowitsch will eine Villa an der Riviera mieten. In der Gegend von San Remo. Ein mildes Klima. Palmen auf der Promenade, Kamelienbüsche in den Gärten, Jasmin- und Lavendelduft in der Luft, das blaue Meer zu deinen Füßen. Du wirst dich wohl fühlen.«
    »Fern von Rußland? Ohne Rußland? Kann man das, Borja?«
    »Wir werden es lernen, Täubchen …« Er zog sie enger an sich.
    Sie legte den Kopf nach hinten an seine Brust und blickte hinüber auf das entschwindende St. Petersburg. Der Hafen der Alten Galeeren war kaum noch auszumachen. Nur die Türme der Kirchen mit ihren goldenen Doppelkreuzen leuchteten weithin in der Sonne.
    »Man kann überall leben, wenn man glücklich ist.«
    »Werde ich glücklich sein?«
    »Ich will alles versuchen, daß du es wirst.«
    »Es wird schwer sein, Borja. Du bist jetzt alles für mich, du mußt jetzt alles für mich sein: Vater und Mutter, Freund und Freundin, St. Petersburg und Rußland … ist das nicht zuviel?«
    »Du hast eins vergessen.«
    »Was denn, Borja?«
    »Geliebter und Mann …«
    »Ich habe es gedacht, aber nicht ausgesprochen.« Sie hob beide Hände und winkte zur Stadt zurück. »Laß mir nur ein wenig Zeit, Liebster …«
    »Soviel du brauchst, Matilda. Ich bin ja doch immer um dich.«
    Das kleine Segelschiff lag jetzt gut im Wind und machte flotte Fahrt. Die Ufer der Stadt versanken immer rascher.
    Nikolaus II. stand noch immer an seinem zerbrochenen Fenster in dem alten Schuppen und blickte dem Schiff nach. Er sah den Rumpf schon nicht mehr … nur der rote Fleck, leuchtend auf den blauen Himmel getupft, schimmerte zu ihm herüber.
    Der Zar hob zum letztenmal die Hand und winkte. Dann wandte er sich ab, setzte seinen Zylinder auf, nahm ihn wieder ab, wischte mit dem Ärmel die Spinnweben fort und drehte sich noch einmal zum Fenster.
    Weit, weit weg am Horizont leuchtete noch ein Punkt.
    Von dem Glück, das fast die Welt verändert hätte, blieb nur ein rotes Segel. Nikolaus II. verließ das Haus, stieg in seine Kutsche und sah seinen Leibkutscher verschlossen an.
    »Zurück zum Menschikowpalais!« sagte er hart. »Was weißt du von dieser Stunde?«
    »Es hat sie nie gegeben, allergnädigster kaiserlicher Herr!« antwortete der Leibkutscher mit steinernem Gesicht.

XV
    In Stockholm blieb Matilda eine ganze Saison über.
    Die Triumphe, die sie feierte, ließen die ganze Welt aufhorchen. Der

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