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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dich zum Essen ein mit köstlichem Wein und eiskaltem Champagner …«
    »Ich weiß nicht, was das alles ist«, sagte Matilda. »Schenkst du mir eine Kopeke?«
    »Einen Goldrubel, Matilda …«
    »Ich habe noch keinen gesehen …«
    »Ich will mein Kind behalten!« schrie hinter den Polizisten Rosalia Antonowna. »Hilft mir denn keiner? Ihr Feiglinge! Seht mit euren Augen zu, wie man mein Kind verdirbt. Wie man es verführen will – mit einem Goldrubel! Mein einziges Kind, mein Augenlicht, meine ganze Seele! Wie Satan in der Wüste unseren Herrn Jesus lockte, so kommen sie daher und wollen mir mein Kind wegnehmen! Helft mir doch, Brüderchen, helft mir doch …«
    Das Lamentieren dauerte noch eine Weile, bis die Bondarewa ihre Plane einzog und damit ihren Markttag für heute beendete. Sie packte ihre Gurken und das Gemüse auf den hochrädrigen Karren, spannte sich mit einem dicken Lederriemen in die Doppeldeichsel ein und stemmte die kräftigen Beine in den Boden.
    »Also gut«, sagte sie zu der Jegorowna, die ihr sogar – zum Entsetzen der Offiziere – geholfen hatte, das Gemüse umzuladen. »Kommen Sie mit, Hochwohlgeboren. Ich wohne in der Krasnogary. Ein Zimmer über dem Laden von Minajew, dem Trödler. Nur ein Zimmer – aber blitzsauber! Wundern wird Sie das, aber man kann im Dreck leben und selbst sauber sein. Wenn es Ihre Nase erträgt, kommen Sie mit …«
    So betrat an diesem Sommertag des Jahres 1884 Tamara Jegorowna zum erstenmal die kleine Stube, in der Matilda geboren war. Allein, denn die beiden Offiziere blieben in der Kutsche zurück, zogen die Vorhänge vor die Fenster und diskutierten darüber, ob noch niemand in der Regierung den Gedanken gehabt habe, dieses schreckliche Stadtviertel einfach abzubrennen und mit schöneren Häusern zu bebauen. »Diesen Pöbel kann man wegschaffen!« meinte Fürst Trobetzkoj erregt. »Irgendwo hinkarren, an den Rand der Stadt. Ratten leben sich überall ein, wo sich der Unrat stapelt!«
    Die Polizisten sperrten unterdessen die Gasse ab. Es war lebensgefährlich. Gruppen von unheimlichen, zerlumpten Gestalten hatten sich gesammelt, mit Knüppeln und Beilen in den Händen. Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß man die allseitig beliebte Rosalia Antonowna von hochnäsigen Herrschaften befreien müßte.
    »Du weißt, was die Kaiserliche Hofoper ist?« fragte unterdessen die Jegorowna. Rosalia nickte, stellte zwei Gläser auf den Tisch und eine Wasserflasche mit einem grüngelben Gebräu.
    »Ich hacke jedes Jahr das Eis davor weg«, erwiderte sie grob. »Damit die hohen Herrschaften nicht ausrutschen und sich ihre Knöchelchen brechen. Im Winter ist der Markt fast tot. Und ich habe Matilda noch nie im Frost tanzen lassen, nie werde ich das tun! Soll sie ihre Lungen zerstören? Also schabe ich das Eis von den Prospekten und Brücken.« Sie goß von dem Gebräu ein und schob Tamara Jegorowna das Glas hin. »Trinken Sie mit mir?«
    »Was ist das?« fragte die Jegorowna vorsichtig.
    »Glauben Sie, ich saufe Gift? Mein Birkenlikör ist's … Birkensaft und Honig! Ich habe das Rezept von meiner Mutter geerbt, ehe sie vom Blitz erschlagen wurde. Unter einer Birke! So mußte es wohl sein …«
    Sie tranken, und es schmeckte bittersüß und angenehm und erinnerte an den Geruch von blühenden Wiesen.
    »Ich will Matilda mitnehmen!« sagte die Jegorowna ohne Übergang.
    Rosalia nickte schwer. Sie zeigte auf das Beil, das sie vor neun Jahren in ihrem Reisesack getragen hatte und das nun immer griffbereit neben der Tür auf einem Hocker lag.
    »Vorher schlage ich sie tot!«
    »Ich leite seit zwei Monaten die Kaiserliche Ballettschule, Rosalia Antonowna. Ich will Matilda ausbilden. Sie wird eine große Tänzerin werden, vielleicht eine der größten, die Rußland je hervorgebracht hat. In deinem Kind steckt der göttliche Funke … eine einmalige Begabung! Weißt du das? Wo ist ihr Vater?«
    »Er hieß Bondarew und verkaufte Rübenköpfmaschinen!« Rosalia goß die Gläser von neuem voll. »Es stimmt, ich habe ihn sehr geliebt. Als er wegfuhr, habe ich geweint – tagelang. Seitdem habe ich keine Tränen mehr. Ich hatte keine Zeit mehr zum Weinen, ich mußte mich durchschlagen, ich mußte um mich schlagen. Ich lebe nur für Matilda – und jetzt wollen Sie sie mir wegnehmen?«
    »Sie bleibt bei dir! Sie wird morgens abgeholt und abends zurückgebracht.«
    »Mit einer Kutsche?«
    »Ja. Mit einer Kutsche der Kaiserlichen Oper.«
    »Wollen Sie, daß man mich hier

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