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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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steinigt?«
    Rosalia trank ihr Glas wie ein Fuhrknecht aus – sie legte dabei den Kopf weit in den Nacken und kippte den Schnaps hinunter. »Daraus wird nichts!«
    »Matilda wird einmal die Welt zu Füßen liegen«, sagte die Jegorowna. »Ihr Name wird rund um den Erdball fliegen: Das Tanzwunder aus St. Petersburg! Du kannst das nicht verhindern.«
    »Ich kann es! Solange ich lebe, kommt keiner an mir vorbei!«
    »Noch ist sie zu jung, aber wenn sie vierzehn ist oder sechzehn, wenn sie begreift, was in ihr steckt, dann wird sie dir davonlaufen. Du wirst sie nicht halten können. Soll sie hier in Sennaja Ploschtschad verschimmeln?«
    »Sie wird nie die Hure eines feinen Herrchens werden, dafür sorge ich!«
    »Etwas anderes kennst du nicht?«
    »Gibt es etwas anderes, wenn ein armes Mädchen in die Fänge der Hochwohlgeborenen gerät? Ich kann mitsprechen, ich habe es hinter mir. Ich weiß, wie es sich in gräflichen Betten schläft und seidene Wäsche kitzelt …«
    »Matilda wird gekleidet und verpflegt werden«, sagte die Jegorowna unbeirrt. »Sie wird keine Not mehr leiden. Und die Kasse des Kaiserlichen Balletts wird dir jede Woche fünf Rubel schicken …«
    »Das ist verrückt!« sagte Rosalia und wischte sich über die Augen. Sie setzte die Flasche an den Mund und nahm einen langen Schluck ihres Birken-Honig-Gebräus. »Jede Woche fünf Rubelchen? Hörst du das, Matilda? Sie bieten uns jede Woche fünf Rubel, schenken dir Kleider, du kannst essen, was du willst, sie bringen dich hin und bringen dich zurück, und alles nur, weil du herumhüpfen kannst wie ein gelehriger Floh! Fünf Rubel die Woche! Ist das nicht verrückt, Tilduscha?«
    »Ich will nicht!« Matilda hockte am Fenster, blickte auf die Gasse und beobachtete die beiden Pferde vor der lackierten glänzenden Kutsche. Der Kutscher in seiner Livree und mit seinem federgeschmückten, hohen Hut hockte auf dem Bock und kam sich unbehaglich vor.
    An den beiden Gassenenden braute sich das Volk zusammen, und jede der wilden Gestalten hielt etwas Schlagbares in der Hand.
    »Sie hat gesagt, ich muß Champagner trinken. Was ist das?«
    »So ein komischer Wein mit Kribbeln in der Nase!« Rosalia winkte ab. »Die Vornehmen trinken ihn, weil ein Schnaps zu ordinär ist. He, warum muß sie denn Champagner trinken?«
    »Matilda wird einmal zu den Vornehmen gehören«, antwortete die Jegorowna. »Sie wird eine Königin sein.«
    »Jetzt wird sie ganz verrückt!« rief Rosalia Antonowna, stellte sich schützend vor ihre Tochter und zog kampfeslustig das Kinn an. »Gehen Sie weg, Tamara Jegorowna, schnell weg!« sagte sie laut. »Für fünf Rubelchen in der Woche liefere ich mein Schwänchen nicht in einem Irrenhaus ab …«
    Drei Tage später hielt zum erstenmal morgens um sieben Uhr eine unauffällige Kalesche mit einem traurigen, knöchernen Pferd vor dem Haus des Trödlers Minajew.
    Matilda schlüpfte aus dem Tor, hüpfte in das Gefährt und schlug schnell die Tür hinter sich zu, als habe sie Angst, man könne sie doch noch zurückhalten.
    Im dunklen Flur des Hauses stand Rosalia Antonowna und weinte jämmerlich, ihr mächtiger Busen erbebte von Schluchzen, sie drückte einen Lappen gegen die rotverquollenen Augen und lehnte sich gegen den schmächtigen Minajew, der dadurch bald an der Wand zerquetscht wurde.
    »Ein neues Leben beginnt!« schluchzte sie herzzerreißend. »Tichon Benjaminowitsch, halte mich fest! Da fährt sie hin, mein schönes Schwänchen. Zum Kaiserlichen Ballett! Bald wird sie ein Mensch sein, der uns nicht mehr versteht. Sie wird sich ihrer Mutter schämen, sie wird die Nase rümpfen, wenn sie abends zurückkommt. Sie wird geziert sprechen wie die feinen Dämchen und nach französischen Wassern stinken! Ich habe sie verloren …«
    »Wenn sie ankommt, muß man ihr die Peitsche geben!« sagte Minajew düster. »Das hat immer geholfen, seit Jahrhunderten. Ein Striemchen auf dem Hintern überzeugt mehr als tausend Worte. Aber ich glaube, sie ist ein gutes Mädchen. Sie wird nie vergessen, was ihre Mutter für sie getan hat.«
    »Ich werde für sie beten.« Rosalia faltete die Hände.
    Draußen zog das Pferd an, das müde Hufgeklapper entfernte sich langsam. »Ich werde beten: Gott da oben im Himmel, hab ein Auge auf sie! Du hast ihr die Gabe des Tanzes gegeben … nun beschütze sie auch … Ob er mich hört, Tichon Benjaminowitsch?«
    »Bestimmt!« Der alte Minajew befreite sich aus Rosalias pressender Nähe. »Gebete von Müttern gelangen

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