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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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macht er, als er mir im Heustall auflauert? Erst küßt er mir die Hand, und dann faßte er mir in die Bluse!«
    »Das hat der Großfürst nicht getan!« sagte Mustin gemütlich.
    »Aber er wird's noch tun, wenn wir keinen Riegel da vorschieben!«
    »Ich befürchte es.« Der Zwerg ließ die dünnen Beinchen pendeln. Es sah aus, als suche ein Insekt nach festem Boden. »Aber Sie sollten Matilda nicht schlagen!«
    »Wissen Sie etwas Besseres?« Rosalia ging zu ihrem Wandschrank, holte die Flasche mit ihrem schon berüchtigten Birkenschnaps hervor und stellte sie auf den Tisch. In der Küchenecke polierte sie mit einem Lappen zwei Gläser.
    Mustin Fedorowitsch betrachtete das Gesöff wie jemand, dessen Gifttod vorbereitet wird.
    »Da war ein junger Offizier hier …«, fuhr Rosalia fort.
    »Leutnant von Soerenberg?«
    »So heißt er! Boris Davidowitsch, nicht wahr? Sagt dieser Offizier zu mir: Ich habe den Befehl, mich um Demoiselle zu kümmern. Und was tut er, als dieses dumme Stück von Tochter wieder halb in Ohnmacht fällt? Er setzt sich an ihr Lager, hält ihre Hand fest und zieht ein Gesicht, als habe er die Hose voll! Seitdem ist er dreimal gekommen, immer, wenn sie vom Ballett zurückfuhr. Ist neben der Kutsche geritten, als sei sie eine Hochwohlgeborene. Schrecklich ist das! Auf dem Markt keifen sie mich an: Na, wie ist's? Warum sitzt du noch hier? Lieferst du noch nicht an den Hof? Mußt deine Gurken mit dem Zarenadler bemalen lassen! Man sollte überlegen, aus Petersburg wegzuziehen …«
    »Das wäre tatsächlich eine Lösung!« sagte Mustin und tat überrascht. Mit blinzelnden Augen sah er zu, wie Rosalia von ihrem Birkenschnaps einschenkte und selbst, wie zur Demonstration, daß es sich nicht um etwas Lebensbedrohendes handelte, das erste Glas hinunterkippte.
    »Moskau ist eine große schöne Stadt, beispielsweise. Oder Odessa …«, meinte der Zwerg bedächtig.
    »Aber das Ballett …«
    »In Moskau gibt es eine sehr gute Schule. Und in Odessa? Madame, wissen Sie, daß Odessa das schönste Opernhaus Rußlands besitzt? Was sage ich – Rußlands? Der ganzen Welt! Ein wahres Wunderwerk!«
    »Aber dort gibt es keine Tamara Jegorowna.«
    »Matilda wird in Kürze den Ruhm der Jegorowna von Odessa aus überstrahlen!«
    »Und dann wird man sie zurückholen nach St. Petersburg an das Kaiserliche Ballett! Den Umweg können wir uns sparen.«
    Es war, als ob der Birkenschnaps nach dem dritten Glas Rosalias Logik entzündet hätte. Mustin nippte nur an seinem Glas und hustete sofort. Er war Champagner gewöhnt. Dieser eine kleine Schluck brannte in seiner Kehle, als sei sie geätzt worden.
    »Wie halten Sie das aus, Madame?« keuchte der Zwerg.
    »Was?«
    »Dieses Getränk?«
    »Man gewöhnt sich daran, Mustin Fedorowitsch. Der Schnaps weitet das Herz und peitscht das Blut auf! Alles auf der Welt wird klarer! Glauben Sie, ich hätte dieses Leben ohne diese Flasche ausgehalten? Ich habe sie mit ins Bett genommen … Das war sicherer als Männer und gab nie Probleme.«
    Sie goß sich das vierte Glas ein und kratzte sich am Haaransatz. »Mustin – ein merkwürdiger Name für einen Menschen …«
    »Ich stamme aus Aserbeidschan.«
    »Aha! Und wo ist das?«
    »Tief im Süden. Schon bei den Mohammedanern.«
    »O Himmel! Dann sind Sie wohl auch so einer?«
    »Ja.«
    Mustin nahm noch einen vorsichtigen Schluck. Beim zweitenmal brannte es schon weniger, man schmeckte sogar den Honig heraus. »Aber man fragt nicht danach, wenn man so aussieht wie ich. Vor fünf Jahren kam ich nach St. Petersburg. Ich lebte vorher in der Gegend von Schemacha, hütete die Schafherden meines Onkels Ibrahim und fütterte die Seidenraupen. Wir haben wundervolle Seide! Die Stoffe aus Gizan werden in der ganzen Welt gehandelt. – Eines Tages reitet eine Abordnung über unsere Weiden, ein Oberst sieht mich, hält das Pferd an, als stünde es vor einem Abgrund, und sagt zu mir: ›Komm einmal her, du Kröte!‹; und als ich antworte: ›Selber Kröte!‹, läßt er mich ergreifen und schleppt mich in die Stadt. Dort werde ich von allen Seiten fotografiert, bekomme einen Goldrubel und kann gehen. Aber zwei Monate darauf sind sie wieder da, die Reiter. Und ich sehe, daß sie mich suchen. Da bin ich weggelaufen, zuerst in meine Erdhöhlen, aber sie hatten Hunde dabei, dann weiter in die Berge … Gehetzt haben sie mich wie ein seltenes Wild, und nach drei Wochen war ich so schwach, daß ich mich in eine Höhle verkroch, um dort zu sterben. Die

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