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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Deutsche mehr auf Rußlands Thron!« soll er damals geknurrt haben.
    Auch die Zarin, die frühere Prinzessin von Dänemark, die den Namen Maria Fjodorowna angenommen hatte, widersetzte sich mit allen mütterlichen Mitteln der Möglichkeit, daß sich Niki, ihr geliebter ältester Sohn in Alice von Hessen verliebte.
    Aber dennoch war es offensichtlich, daß der schüchterne Zarewitsch an der ebenfalls verträumt wirkenden, aber im Innern doch sehr ehrgeizigen deutschen Prinzessin Gefallen gefunden, wenn nicht sogar Feuer gefangen hatte.
    Als Nikolai Alexandrowitsch erfuhr, daß die Zarin als Braut ihres Sohnes zu gern die schöne Helene von Orleans, die Tochter des Grafen von Paris, gesehen hätte, schrieb er in sein Tagebuch die betrübt klingenden Zeilen:
    »Das hat mich in eine ungewöhnliche Lage gebracht, an den Kreuzungspunkt zweier Wege: Ich möchte dem einen folgen, und meine Mutter scheint zu wünschen, daß ich einen anderen nehme …«
    Von da an war das Thema Alice von Hessen kein Gespräch mehr in der Zarenfamilie. Es gab genug Prinzessinnen, die schön und klug waren, aber keine Deutsche! Nun aber stellte Pobedonoszew die neuen Fotos auf den Schreibtisch Alexanders III. und berichtete stolz, er wisse, daß der Zarewitsch noch immer an Alice mit Liebe denke.
    Der Zar lehnte sich zurück, trank einen Schluck Wein, trotz seiner Nierensteine, die er einfach mißachtete, und wölbte die Unterlippe vor.
    »Das sind keine Vermutungen, Konstantin Petrowitsch?« fragte er nachdenklich.
    »Mir ist zugetragen worden, daß die Prinzessin seit ihrem Besuch 1889 intensiv Russisch lernt …«
    »Zum Teufel!« Der Zar schlug sich auf den Schenkel. »Das nennt man deutsche Gründlichkeit! Keiner hat eine Ahnung, was sich da im geheimen zusammenbraut, und sie lernt Russisch!«
    »Sie führt lange Gespräche mit dem Geistlichen der kaiserlichen Botschaft in London. Ihre Majestät, die Königin Victoria von England, hat bei der Großfürstin Elisabeth diskret anfragen lassen, ob man für Alice eine Konversion zur Orthodoxie vorbereiten soll.«
    »Nie!« rief der Zar. »Nie! Das alles hinter meinem Rücken? Ich werde mir Nikolai vornehmen. Man kennt doch meine Ansichten …«
    Pobedonoszew seufzte leise. Ja, man kannte sie genau.
    Sie begannen bei der heiligen Elisabeth von Thüringen, die der Zar eine Verrückte nannte, führten über die tragische Maria Stuart von Schottland bis zu der unheimlichen Krankheit, die ausnahmslos die männlichen Nachkommen Königin Victorias ergriff und die unheilbar war: Die Bluterkrankheit, die Hämophilie. Alice' Vater litt darunter, ihre Brüder, ihr Großvater väterlicherseits … eine erschreckende Erbfolge, die Alexander III. nicht über seinen Sohn nach Rußland bringen wollte. Er ging sogar so weit, daß er zu seinem Außenminister von Giers sagte, als ihm dieser eine Heirat des Zarewitsch mit der jüngsten Schwester des deutschen Kaisers Wilhelm II. vorschlug:
    »Was bringen Sie mir da an? Ich habe mich erkundigt! Vielleicht ist das Blut der ganzen Familie infiziert, und das wäre furchtbar.«
    Kaiser Friedrich III. war an Kehlkopfkrebs gestorben, den man zu spät erkannt und dann noch falsch behandelt hatte, aber für Alexander III. war noch schlimmer: Die Kaiserin war eine englische Prinzessin! Nicht umsonst nannte man Victoria die ›Mutter Europas‹.
    »Wir müßten den Zarewitsch mal wieder auf Reisen schicken«, meinte der Zar jetzt. »Möglichst weit weg! Von mir aus noch einmal nach China oder an die Sibirische Eisenbahn, um die er sich ja so rührend kümmert! Konstantin Petrowitsch, woher stammen Ihre Informationen?«
    »Es gibt ein Tagebuch des Großfürsten-Thronfolger, Majestät.«
    »Da trägt er solche Dummheiten ein?«
    »Ein Tagebuch ist der vertrauteste Gesprächspartner des Menschen.«
    »Ha! Und Sie haben Ihre Spione selbst im Kabinett des Zarewitsch?«
    »Ich hatte es auf Ihren Wunsch übernommen, Majestät, Nikolai Alexandrowitsch auf seine Berufung zum Zar vorzubereiten. Dazu gehört auch das Wissen seiner geheimsten Gedanken, seiner stillen Wünsche, seiner unerfüllten Sehnsüchte, seiner intimen Erfolge. In dieser Richtung ist der Zarewitsch ein braver Sohn. Ein paar leichte Affären ohne Tiefgang … bis dann Prinzessin Alice seinen Weg kreuzte und seine Gedanken um sie kreisten. Bis heute.«
    »Wir werden das genau verfolgen, Konstantin Petrowitsch –«, sagte der Zar gedehnt. »Sehr genau!«
    Er betrachtete erneut die Fotos in den schmalen Silberrahmen,

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