Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts
vor der Polizei fliehen, über Dächer und Balkone, teuflisch lachen und kleine giftige Pfeile ausspucken.
Das Handbuch für Ninja-Anfänger hält mehr, als es verspricht. In der Anleitung zum ersten Schritt heißt es: »Vergessen Sie alles, was Sie vorher zu wissen meinten. Und zwar wirklich alles: Kamasutra für Taxifahrer , Was tun?, Zehn Kilo in einer Woche abnehmen – diesen ganzen Quatsch. Ab heute sind Sie ein Baby. Sie können weder laufen noch sitzen. Essen und schlafen sind für Sie Fremdworte geworden. Sie
müssen die Welt neu entdecken. Ihr Gefühl von Raum und Zeit wird ein anderes sein, und ehe Sie es merken, werden Sie übernatürliche Fähigkeiten entwickeln.«
Wie das geht? Seitdem wir in der Familie beschlossen haben, alle Ninjas zu werden, merke ich überhaupt erst, wie viele es davon schon gibt. Am Tage sind sie ganz normale Menschen, die ihre Kinder zum Kindergarten bringen, einkaufen gehen und Straßenbahn fahren. Es darf ja keiner wissen, dass sie Ninjas sind. Aber nachts, im Dunkeln, ziehen sie ihre schwarzen Kapuzen über und klettern an den Fassaden der alten Häuser hoch, hängen wie Schatten in den Kneipen herum oder kleben bei sich zu Hause an der Decke fest. Wie wir.
Das Rauchen im vorigen Jahrhundert
Fünfundzwanzig Jahre lang habe ich geraucht – an öffentlichen Orten und seit ich vierzehn war und noch zur Schule ging. Mein Einstieg als Raucher war alles andere als leicht, obwohl ich einen rauchenden Vater hatte, dessen Zigarettenverstecke ich regelmäßig plünderte. Doch mein Vater, ein Egoist, dachte bei der Wahl seiner Lieblingsmarke überhaupt nicht an die Kinder. Er rauchte einen solchen Scheiß, dass mir gleich nach dem ersten Zug die Augen aus dem Kopf fielen und die Lungen zusammenklappten. Mein Vater hatte allerdings auch keine allzu große Auswahl. Der sozialistische Staat gab sich bei der Produktion
von Tabakwaren überhaupt keine Mühe. Er fügte seinem Tabak keinen Kakao, Zucker oder Fruchtessenzen hinzu, um den unangenehmen Geschmack der Zigaretten zu lindern, das hatte ein sozialistischer Staat einfach nicht nötig. Es gab in Moskau nur zwei Fabriken, die Zigaretten produzierten: Java stand für Qualität, die Dukat produzierte Stinkstroh, das man aus heutiger Sicht nicht mehr als Qualm, sondern als einen Terroranschlag einstufen würde. Heute würde eine halbe Dukat – Zigarette von damals, angezündet an einem öffentlichen Ort irgendwo in München zum Beispiel, zur sofortigen Evakuierung des ganzen Stadtteils führen.
Es ist schwierig, sowjetische Zigaretten mit den westlichen bunten Tabak-Bonbons zu vergleichen. Am meisten ähnelten die sowjetischen Kippen den American Spirit -Zigaretten, diesen alternativen, langsam brennenden und nach nichts schmeckenden Bio-Fluppen mit Indianerkopf auf der Weichpackung. Sie sind hier wegen ihrer Natürlichkeit sehr beliebt, besonders bei Intellektuellen. In Europa hat jede Berufsgruppe, jede gesellschaftliche Schicht eine eigene bevorzugte Marke, wir dagegen hatten alle das gleiche Stroh. Man würde meinen, das war soziale Gerechtigkeit pur, die alle an der gleichen Zigarette ziehen ließ. Doch die Parteibonzen rauchten Amerikanisches
oder irgendetwas schönes Kubanisches, während sich das Volk mit dem sozialistischen Verschnitt begnügen musste.
»Der alte Freund unseres Landes, Fidel Castro, hat mir neulich zwei Zigarren geschenkt«, erzählte unser Generalsekretär Breschnew in einem berühmten Witz, »die eine habe ich selbst aufgeraucht, die zweite zünde ich jetzt an, nehme ein paar Züge und gebe sie weiter an das große sowjetische Volk.«
Eigentlich hatte ich als Siebenjähriger gute Chancen, mit feinem finnischem Marlboro-Tabak in die Welt des Rauchens einzusteigen. Damals wurde ich Zeuge, wie mein Nachbar Pavel, der zehn Jahre älter war als ich, heimlich unter der Treppe gut duftende Zigaretten rauchte. Er versteckte sich dort vor seinem strengen Nichtraucher-Vater, der statt einer oralen Erziehung die patriarchalische anale Variante zelebrierte. Bei jedem kleinen Vergehen griff der Vater von Pavel zu seinem Seemannsgürtel, mit dem er seinem Sohn aufs Hinterteil schlug, statt den Jungen aufzuklären. Diese aus heutiger Sicht völlig abwegige Art von Erziehung, die inzwischen zu Recht in Vergessenheit geraten ist, war im vorigen Jahrhundert in den totalitären Diktaturen des Ostens sowie auch in den autoritären Demokratien des Westens stark verbreitet. Es dauerte nicht lange, bis mein Nachbar
Pavel
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