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Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Titel: Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Der richtige Knopf wird nur den besten Freunden und engsten Verwandten ins Ohr geflüstert. Dafür sind in Moskau fast alle Straßen ordentlich beschriftet. Die meisten zwar an schwer auffindbaren Stellen, aber immerhin.
    Ich bin insgesamt achtmal im Leben umgezogen, vom Platz der Verteidiger der Festung Brest in Moskau bis zur Schönhauser Allee in Berlin. Durch diese Wohnortwechsel habe ich gelernt, dass Straßennamen nicht nur nützlich sind, manchmal können sie sogar auf metaphysische Art das Schicksal der Bewohner beeinflussen. Die großen Umbenennungswellen, die in den Neunzigerjahren über Moskau und Berlin hereinbrachen, haben mich in diesem Aberglauben noch bestärkt. Zwei Freunde meiner Mutter, ein älteres Ehepaar, leben seit Jahrzehnten in Berlin-Lichtenberg, genau genommen in Friedrichsfelde, in der Hans-Loch-Straße. Sie wohnen dort schon so lange, dass sie vergessen haben, wer dieser Hans Loch eigentlich war. Und die Neuankömmlinge, die nach der Wende dorthin zogen, hat es erst gar nicht interessiert.

    Bis 1991 war es eine ruhige, stille Straße. Die Wiedervereinigung hatte dort keinerlei Spuren hinterlassen. Aber nachdem man die Hans-Loch-Straße in Michigansee-Straße umgetauft hatte, wurde es dort unruhig. Zuerst brachen in mehreren Häusern die Wasserleitungen, wobei viele Kellerräume verwüstet wurden und sogar einige Wohnungen unter Wasser standen. Nachdem die Wasserleitung repariert war, fing es in Friedrichsfelde zu regnen an wie noch nie zuvor. Selbst wenn in anderen Berliner Bezirken die Sonne schien, quakten am Michigansee die Frösche unter den Büschen, und der Schimmel wucherte an den Wänden.
    Viele sagten damals, der alte Hans Loch würde sich damit für seine Verbannung ins Jenseits rächen, und schlugen die Geschichtsbücher auf, um mehr über den Mann zu erfahren. Einige andere zogen um, in Straßen, die trockenere Namen hatten. Hans Loch war übrigens ein trockener Bürokrat, das hat aber mit unserem Thema nichts zu tun. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass ich an die Welt der Geister nicht glaube. Immerhin hat die Hälfte meiner Landsleute ihre Jugend auf Karl-Marx-Alleen verbracht, und ihnen sind keine wilden Bärte gewachsen. Die andere Hälfte tobte sich auf den ebenso zahlreichen Lenin-Straßen aus, bekam aber trotzdem
keine Glatze. Obwohl – einige doch. Ziemlich viele sogar.
    Bei uns in Moskau waren die guten Straßennamen, also solche, die Unterhaltung und Abenteuer versprachen, fast alle im Zentrum. Dort wurden die Straßen nach Jubiläen, Festen, trunkenen Dichtern und romantischen Schriftstellern benannt. Je weiter vom Zentrum entfernt, desto trostloser wurden die Straßenschilder. Am Stadtrand trugen die Straßen Namen von erschossenen Helden und gequälten Partisanen, die alle furchtbar leiden und jung sterben mussten. Als Kind lebte ich mit meinen Eltern am Arsch der Welt: wie gesagt, am Platz der Verteidiger der Festung Brest, so genannt zu Ehren einer Gruppe von Soldaten, die 1941 ihre Stellung an der polnisch-weißrussichen Grenze bis zum bitteren Ende verteidigt hatte, von der regulären Armee isoliert, ohne Proviant, ohne Munition, ohne Hoffnung. Dieser Platz befand sich in einem Moskauer Schlafbezirk, wo nach zweiundzwanzig Uhr kaum noch Menschen auf der Straße zu sehen waren. Der letzte Kinofilm wurde im gleichnamigen Filmtheater um zwanzig Uhr gezeigt, danach herrschte Ruhe im Bezirk. Nur wir jungen aufstrebenden Biertrinker saßen unter dem gleichnamigen Denkmal und vergeudeten dort unsere Jugend – ebenfalls ohne Proviant, ohne Munition, ohne Hoffnung.

    Meine Frau besaß eine Zeit lang eine Kellerwohnung in der Lisa-Chaikina-Straße, so benannt zu Ehren einer im Krieg erschossenen jungen Partisanin. Nach dem Zustand der Kellerwohnung zu urteilen, wurde die Jungkommunistin direkt dort mit einer großkalibrigen Waffe hingerichtet: Überall waren große Löcher in den Wänden. Mit sechzehn zog ich in ein altes leer stehendes Haus im Zentrum, zwischen dem Weihnachtsboulevard und dem Platz der Kolchosbäuerin. Ab da ging es langsam bergauf. In Berlin dann lernte ich meine Frau kennen, sie arbeitete in einer Kneipe an der Ecke Sredzki- und Knaackstraße, eine Kreuzung zwischen einem Widerstandskämpfer und einem Komiker! Wir zogen zusammen in den Prenzlauer Berg, und um unser Haus herum waren nur Straßen, die nach Kriegsschlachten benannt worden waren: Belforter, Saarbrücker, Diedenhofer. Wahrscheinlich gab es deswegen bei uns auch

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