Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts
anderen Fall. An einer
deutschen Autobahn sprach uns einmal ein italienisch aussehender Mann an einer Tankstelle an. Er sei Modedesigner, wäre gerade auf einer Messe gewesen und hätte seine Kreditkarte verloren. Nun habe er nicht mehr genug Bargeld, um das Benzin bis nach Italien zu bezahlen. Er bot uns an, ihm seine Ausstellungsstücke abzukaufen: Grüne Lederjacken, die normalerweise eintausend Euro kosten würden, wollte er für ein paar hundert abgeben. Aus Solidarität mit Nietzsche kauften wir ihm zwei ab. Die Jacken waren zwar aus Lederimitat, aber eigentlich ganz in Ordnung. Mit glühenden Augen fuhr er weg und vergaß sogar zu tanken.
In Russland war der populärste Betrug Anfang der Neunzigerjahre der sogenannte Straßenfund: Plötzlich sah ein Fußgänger eine dicke Geldbörse einfach so auf der Straße liegen. Er griff danach, zählte das Geld und freute sich. Nur war aber immer ein anderer Fußgänger in der Nähe, der die Geldbörse ebenfalls gesehen hatte. Sie teilten das Geld gerecht unter sich auf, der andere verschwand, aber sofort tauchte an seiner Stelle der angebliche Besitzer des Geldbeutels auf und wollte ihn mit dem ganzen Inhalt zurückhaben. Dieser Trick war in Russland bald so verbreitet, dass die Menschen anfingen, auf dem Boden liegende Geldbörsen mit ihren Stiefeln wegzukicken
oder die vermeintlichen Besitzer zu schlagen, denn sie fühlten sich in ihrer Betrugserwartung enttäuscht.
Die neuen Varianten wurden deswegen immer komplizierter. Letzten September hatte ich, ohne etwas dafür zu tun, einen teuren Fernseher gewonnen. Eine mollige, sehr energische Frau hielt mich am Ärmel fest, drückte mir einen Zettel in die Hand und schrie: »Gratuliere! Sie haben gerade in der kostenlosen Lotterie unserer Firma den ersten Preis gewonnen! Einen Sony-Fernseher mit Plasmabildschirm!«
Ich war sehr gerührt und stammelte: »Aber ich habe doch gar nichts gemacht.« Ich las den Loszettel. Ein Plasmabildschirm, na, so was.
»Den brauche ich eigentlich nicht«, sagte ich.
»Macht nichts, Sie können Ihren Gewinn auch in bar mitnehmen, ich habe alles hier in der Tasche, tausendzweihundert Dollar, kommen Sie doch mit«, bat mich die Frau.
Für die Aushändigung der Gewinne hat sich die Fernsehfirma einen merkwürdigen Ort ausgesucht, einen freien Platz hinter einer leer stehenden Imbissbude. Dort warteten bereits einige Kollegen der Frau.
»Gott bin ich froh, endlich Feierabend zu haben«, sagte die Lottofee zu mir. »Sie und diese junge Frau da sind nämlich die letzten Gewinner heute. Jetzt
bekommen Sie das Geld von mir, und das war’s für heute.«
»Toll!«, sagte ich und kicherte unvermittelt.
Die andere Gewinnerin, eine Blondine in teurem Pelz, sah nicht besonders glücklich aus. Sie rauchte hektisch. »Können wir uns bitte beeilen«, bat sie die Lottofrau, »ich muss zum Bahnhof, mein Zug geht in einer Stunde.«
»Einen Moment noch«, sagte die Lottofee und fragte mich, ob ich auch in Eile wäre.
»Nein, ich habe Zeit«, beruhigte ich sie. Die Lottofee machte ihren Koffer auf, darin lag ein Umschlag mit dem Gewinn, aber nur einer.
»O Mann«, seufzte die Lottofee, »das kann doch nicht wahr sein, ich habe mich verzählt. Ich habe nur noch einen Gewinn für heute übrig und zwei Gewinner. Was machen wir jetzt?«
Ich schlug vor, den Gewinn einfach zu teilen.
»Niemals!«, sagte die Blondine. »Ich will entweder alles oder nichts. Mein Zug geht in einer Stunde.«
Alle schwiegen nachdenklich. Die Situation schien in eine Sackgasse geraten zu sein.
»Wir wetten einfach«, sagte daraufhin die Blondine, »wer mehr Geld auf den Gewinn setzt, der bekommt alles. Ich setze dreihundert Dollar – okay?« Sie holte das Geld aus ihrer Tasche.
»Setzen Sie auch, setzen Sie«, schubsten mich die Kollegen der Lottofee. »Sie hat bestimmt nicht mehr, diese Tussi.«
»Wir schaffen es«, flüsterte mir die Lottofee ins Ohr. Sie waren alle auf meiner Seite.
»Bitte schneller, mein Zug geht in einer Stunde«, betonte die Blondine noch einmal mit trauriger Stimme, sie hatte sich anscheinend innerlich schon mit dem Verlust ihres Geldes abgefunden.
»Kommen Sie, machen Sie«, drängten mich meine Fans, es wurden von Sekunde zu Sekunde mehr. Ich fühlte mich ein wenig wie Nietzsche, nur hatte ich an dem Tag überhaupt kein Geld in der Tasche.
»Ach, wissen Sie was«, sagte ich zu der Blondine, »Sie sind jung und schön, Sie brauchen das Geld. Nehmen Sie alles, nehmen Sie, ich werde es
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