Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts
Geheimnissen und Geschichten auf der Stelle in Richtung Brandenburg verlassen und weiter Kunststoff verarbeitet, hätte seine Familie ihn nicht am Fuße des Vulkans festgehalten. Sie bestand zu Recht auf Urlaub.
Abends in der Dunkelheit ließ der Passat manchmal ein wenig nach, dann saßen Rainer und ich auf der Veranda und philosophierten bei einem Glas Rotwein. Unsere Frauen schufteten währenddessen an einem unendlichen Kreuzworträtsel für verwirrte Quiz-Freaks.
»Alles um uns herum ist Kunststoff«, philosophierte Rainer. »Ob Waschmaschinen, Mülleimer, Autos,
alles Kunststoff. Für alles wird eine spezielle Form angefertigt, in die dann der flüssige Kunststoff gegossen wird. An jedem Ding kann ich die Angusspunkte finden. Wenn aber Materie nicht in eine vorgefertigte Form gegossen wird, sondern einfach frei überall hinläuft, dann entstehen solche Vulkaninseln wie dieser Kotzbrocken hier.«
»Eulenähnlicher Papagei? Fünf Buchstaben mit j am Ende?«, riefen uns die Frauen zu. »Mexikanische Kakteenmotte? Der Mädchenname der ersten Frau von Gaddafi?«
»Was denkst du, warum hier nur Omas leben? Wo sind die ganzen Opas hin?«, philosophierte Rainer weiter. »Doch nicht etwa vom Winde verweht? Von wegen! Die Männer halten es mit ihnen einfach nicht aus. Und kaum gibt der Opa den Löffel ab, schon besorgt sich Oma einen Kater. Er geht nicht fremd, säuft nicht und hört sich jeden Blödsinn an. Nach zwei Wochen merkt die Oma, dass sie ihren Kater viel besser verstehen kann als ihren Opa zu Lebzeiten.«
Nebenberuflich war mein neuer Bekannter Erfinder. So hatte er unter anderem einen perfekten Flaschenöffner aus Kunststoff erfunden. Man brauchte das Ding nur auf die Flasche zu setzen, und schon war sie offen. Der Kronkorken blieb dabei an einem eingebauten Magnet im Flaschenöffner hängen. Rainer
erzählte, dass ihm diese Erfindung nicht leicht gefallen sei. Er musste unzählige Kisten Bier öffnen, bis der Prototyp fertig war. Er dachte bereits über eine Serienproduktion nach, doch bis dahin war es noch ein langer Weg. Wir stellten von Wein auf Bier um. Abend für Abend testeten wir dann, wie robust seine Erfindung war.
»Eine apfelähnliche Frucht? Ein giftiger Frosch mit drei Buchstaben? Eine Halbinsel in Japan?«, hörten wir aus dem Haus.
»Eine Halbinsel? Japan besteht doch nur aus Inseln!« , sagte ich zweifelnd.
Rainer dagegen wusste auf jede Frage die richtige Antwort. Zu schade, dass sie drei Tage früher als wir zurückfliegen mussten. Fünf der Flaschenöffner ließen sie uns als Andenken an unsere gemeinsamen Abende am Fuße des Vulkans zurück. Der Rest der Zeit verging erneut im Kampf gegen den Wind. Als wir uns auf den Rückweg zum Flughafen machten, wehte der Genosse genauso stark wie am Tag unserer Ankunft. Er fegte die Straßen, kämmte den Katzen das Fell und ließ die Omas durch die Luft fliegen. Noch lange danach hatte ich in den Ohren sein ewiges Lied.
Fußball im vorigen Jahrhundert
Eine merkwürdige Stimmung legte sich in den Achtzigerjahren über das große Land. Alles erstarrte und wartete auf irgendetwas. Auch die Regierenden bewegten sich während ihrer öffentlichen Auftritte an den großen Feiertagen nur sehr vorsichtig auf dem Lenin-Mausoleum. Sie wurden aufmerksam von der Bevölkerung beobachtet, und man schloss Wetten ab, wer von diesen greisen Mausoleumswärtern als Erster den Löffel abgeben würde. In den Zeitungen wurde die Kritik am Westen zurückhaltender, sie versuchten, überhaupt über niemanden mehr Schlechtes zu schreiben, denn man wusste nicht, was kommen würde.
In dieser Stimmung gingen sogar die Olympischen Spiele 1980 ziemlich unter, obwohl man sie hervorragend zu Propaganda-Zwecken hätte nutzen können. Einige westliche Länder hatten diese Olympiade sabotiert, andere nicht, aber die sowjetischen Sportler badeten dennoch beinahe in allen Sportarten in Gold. Man muss dazu sagen, dass der sowjetische Bürger von Natur aus ein begeisterter Sportler war. Seine nicht geringe Freizeit versuchte er sich liebevoll mit Sport zu gestalten. An Auswahl mangelte es nicht. Meine Mutter zum Beispiel verfolgte Eiskunstlauf sehr intensiv im Fernsehen, sie kannte alle Läuferinnen und Läufer mit Vor-, Vater- und Zunamen und wusste genau, wer von ihnen wann und unter welchen Umständen gestolpert war. Mein Vater machte anfangs in seinem Betrieb bei fast allen Leichtathletikwettbewerben mit, sogar beim Hürdenlaufen und beim Hammerwerfen. Nach einigen Stürzen
Weitere Kostenlose Bücher