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Es geht auch anders

Es geht auch anders

Titel: Es geht auch anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Lotz (Hg.)
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Eintracht. Diejenigen, die sich im abgelaufenen Jahr mit Niedertracht verfolgt hatten, herzten sich, um dann die zu küssen, die sie als Konkurrenten um den Vorstandsposten betrachteten und denen sie im kommenden Jahr das Messer in den Rücken zu stoßen die Absicht hatten.
    Ich knutschte mit einem langen, dürren Psychologiestudenten. Als ich am nächsten Morgen neben ihm in einem Reinickendorfer Bett aufwachte, hatte ich meinen ersten Missgriff in Berlin getan. Es sollten noch einige folgen.
    Tags darauf nahm ich meine Arbeit bei der Berliner Telefonauskunft auf. Die korrekte Postbezeichnung dafür war Fernsprechauskunft. Denn Korrektheit gehört nun mal zu einem Postbediensteten. Das hatte ich schon in Mannheim gelernt, als ich den Postlehrgang absolvierte.
    Nach dem Vordiplom pflegte ich während der Semesterferien bei der Auskunft zu jobben. Meine damalige Fähigkeit, mir unwichtige Dinge merken und Unsinniges schnell auswendig lernen zu können, machte mich alsbald zum Liebling von Frau Bräzel, der Lehrgangsleiterin. Ich war der Erste, der statt von einer Telefonnummer korrekt von einer Beschalteinheit sprach. Ich kannte den Unterschied zwischen Hauptvermittlungsstellen und Knotenvermittlungsstellen, sprach statt von Telefonzellen von öffentlichen Münzfernsprechstellen. Als Einziger hatte ich alle Fernsprechbuchbereiche im Kopf und musste nicht im Amtlichen Verzeichnis der Ortsnetzkennzahlen, kurz AVON, wie das Vorwahlnummernbuch bei Postlern heißt, nachschauen.
    Frau Bräzel legte mich dem Berliner Fernmeldeamt ans postalische Herz. Da die Telefonauskunft, Pardon Fernsprechauskunft, rund um die Uhr besetzt sein musste, gab es keine geregelten Arbeitszeiten.
    Gott sei Dank. Denn geregelte Arbeitszeiten und ein geregeltes Berliner Schwulenleben schließen sich aus wie Feuer und Wasser. So tauschte ich immer mit den dort arbeitenden Hausfrauen, die Frühdienste vorzogen, um mittags den Haushalt versorgen zu können, die Spätdienste ein. Ich beauskunftete von 15 bis 23 Uhr, was mir die Möglichkeit gab, immer bis 13 Uhr schlafen zu können und nach dem Dienst um die Häuser zu ziehen.
    Denn vor Mitternacht lohnte es sich in der Berliner Lederszene nicht auszugehen. Man traf dann höchstens einige verirrte Touristen, die an feste Sperrstunden gewohnt waren und schon um 21 Uhr ihr Glück zu suchen trachteten.
    Jene verschwindend geringe Minderheit der Subkultur-Schwulen, die einer geregelten Arbeit nachging und früh aufstehen musste, versuchte entweder, möglichst häufig krank zu feiern, oder sie beherrschte die Vorschlaftechnik. Das heißt, man schlief nach der Arbeit von 16 bis 23 Uhr, frühstückte oder vielmehr spätstückte und zog dann los, um morgens um sieben, direkt aus der Subkultur kommend, den Arbeitsplatz aufzusuchen.
    Das Lokal, wo die Bierströme rund um die Uhr zu fließen schienen, war Andreas Kneipe . Hier traf sich die Gesamtheit der mir anfangs nur vom Sehen bekannten Berliner Schwulen. Es wurde im Schichtbetrieb gesoffen. Nachmittags saßen diejenigen im AK , wie es von Kennern genannt wurde, die hier immer saßen und die hier immer tranken. Sie wankten dann um 18 Uhr nach Hause, um den nachströmenden KaDeWe-Verkäufern Platz zu machen, die nach getaner After-Shave-Beratung hier ihr After-Work-Bier tranken. Sie erzählten sich dann gegenseitig die Tragödien, die sie im Laufe des Tages wieder einmal hatten erleben müssen. Gegen 22 Uhr kamen die eigentlichen Nachtschwärmer, um sich und ihre Laune hier aufzuwärmen. Es wurden die ersten Augenblicke und die ersten Lästerlichkeiten ausgetauscht. Man vermied es jedoch peinlich, schon hier den Bund für die Nacht zu schließen, denn man wusste ja nicht, ob im Laufe des Abends oder der Nacht nicht noch was Besseres nachkäme. Nach einigen Bieren verteilten sich dann, in bester Aufrisslaune, die Schwulen in ihren jeweiligen Subsubkulturbereich. Lederjacken zur Knolle , weiße Hosen ins WuWu , Seidenhemden in den Vagabund .
    Wie ein ruhender Fels saß inmitten dieser Männerwogen eine alte Frau, die man eher im Café Kranzler vermutet hätte. Ria, so hieß die Mutter der hier versammelten Königinnen der Nacht, thronte an einem etwas erhöhten Tisch und erinnerte in ihren meist bleuen Kostümen an die Queenmother. Man erzählte sich, dass sie schon 1948 an gleicher Stelle im Vorgängerlokal gesessen und ihre Biere damals mit Briketts beglichen habe. Ihre Hutmodelle wechselten turnusgemäß, wurden jedoch nie abgelegt, wenn sie täglich von 19

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