Es geht auch anders
kam es durchaus vor, dass sie in konkreten Situationen ihre Meinung zu meinen oft verwickelten Liebesbeziehungen deutlich sagten.
Mit dem Sportlehrer blieb es im Übrigen bei diesem einen Erlebnis; mir war ohnehin klar, dass ich ihn nicht wieder würde überrumpeln können. Einige Wochen später erwischte ich ihn aber doch allein im Umkleideraum, ging zu ihm hin und umarmte ihn, wie beim ersten Mal. Allerdings waren wir angezogen; er trug eine Trainingshose, was seine körperliche Reaktion natürlich in keiner Weise verbarg. Er ließ es aber nicht zu, dass wir weitergingen; sicher hatte er auch Angst vor etwaigen Folgen. Er nahm mich ganz lieb in den Arm und schob mich zur Seite. Damit war alles klar.
Das war gar nicht so schlimm, er hatte ja das Seine für mich getan, das Glück dieser ersten Begegnung habe ich nie vergessen. Dieser Lehrer lebt heute in Holland, über achtzigjährig, seit Ewigkeiten verheiratet und mehrfacher Großvater, und wahrscheinlich wird er sich gar nicht mehr an mich erinnern.
Mit einem bilderbuchschönen Jungen namens Otto fing ich ein richtiges Verhältnis an. Er war Halbwaise aus Prag und lebte bei seinem Vater in der Nähe des Bahnhofs Weißensee. Der Sex fand nach dem Sport oder dem gemeinsamen Schwimmen statt, und bald besuchte ich ihn in seiner Wohnung; ab und zu konnten wir uns auch dort vergnügen. Der Vater arbeitete tagsüber, wir kamen mittags von der Schule nach Hause, ich ging mit zu ihm, und ein Stündchen später saß ich dann in der Straßenbahn nach Hause.
Otto blieb nicht der Einzige. Ich spürte sehr bald eine Neugier auf viele Menschen, gar nicht ausschließlich sexuell, sondern vermischt mit freundschaftlichen, geselligen, ausgelassenen Gefühlen. Wie weit ich jeweils ging, war ganz unterschiedlich. Mit Ausnahme von einem, der älter und sehr männlich war und fast grob mit mir umsprang, würde ich meine Freunde und die gemeinsamen Erlebnisse vor allem als zärtlich und spielerisch beschreiben. Darum ging es mir. Mit Liebe oder auch nur Verliebtheit hatte das noch nichts zu tun, das kam erst später.
Ein anderer Spielgefährte dieser Zeit war Martin, der heute als Schriftsteller in Wien lebt; er wohnte im Jüdischen Waisenhaus. Trotz seiner jungen fünfzehn Jahre rauchte er schon ungeheuer viel, und ich klaute meinem Vater immer Zigaretten für ihn, deshalb war er mir besonders zugetan. Ein Tunichtgut, aber hochintelligent, und ein absoluter Lehrerschreck. Seine Frechheit gefiel mir ungeheuer.
Martins Spezialität waren Fummeleien in der S-Bahn, am helllichten Tage. Die Bahn war voll, man stand eng beieinander, berührte sich, rieb sich ein bisschen, fummelte und grapschte, und keiner der Umstehenden merkte es oder wollte etwas merken. Dieses Spiel setzten wir im Englischunterricht fort, wo wir nebeneinandersaßen. Unterm Tisch holten wir uns gegenseitig einen runter, und unsere Lehrerin Fräulein Goldstein kriegte rein gar nichts davon mit. Zu dieser Zeit fühlte ich mich pudelwohl auf der Schule.
… und weiter geht’s:
Und Gad ging zu David
Die Erinnerungen des Gad Beck
1923 bis 1945
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Frank Heibert
ISBN 978-3-86034-501-6
Napoleon Seyfarth
Schweine müssen nackt sein
Heute ist der 31. Dezember 1990. Seit zehn Jahren lebe ich in Berlin. Auch Berliner bin ich seit zehn Jahren.
Berlin ist wie Zigarettenrauchen. Bei der ersten Zigarette hustet man noch. Man raucht die zweite. Entweder man hustet immer noch und lässt das Rauchen bleiben, oder man inhaliert und wird abhängig. Ich war seit meinem zwanzigsten Lebensjahr ein starker Raucher. Ich hatte mir das Husten abgewöhnt. Ich wurde gleich abhängig von Berlin.
Es war damals in der guten alten Zeit. Berlin war noch von einer Mauer umgeben, als ich früh am Silvestermorgen 1980 um 6.30 Uhr am Bahnhof Zoo dem Nachtzug aus Mannheim entstieg. Ich inhalierte tief.
Ich war angekommen auf jener Insel der schwulen Glückseligkeit. Auf jenem paradiesischen Eiland in der Mitte eines grauen Meeres, das ein Bollwerk gegen jene Vergangenheit bildete, die sich selbst Bundesrepublik nannte. Die Einheimischen der Insel, und einheimisch fühlte sich jeder, der gerade das rettende Eiland erreicht hatte, verachteten von ihrer Insel aus jenes Festland, dem sie den Namen Westdeutschland gaben.
»Es gibt keine deutsche Stadt«, sagte später mal eine gute Freundin, die hier Asyl vor niedersächsischer Verfolgung gefunden hatte, »die für westdeutsche Mütter so weit entfernt ist wie
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