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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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und die Woche davor: ›Um nichts in der Welt würde ich auf den Eiffelturm steigen.‹«
    Adamsberg lächelte. Der Gerichtsmediziner murmelte, daß man keine Wunder von ihm erwarten dürfe, wenn man die Leichen nicht früher fände, und daß er den Eindruck habe, sie sei zwischen zweiundzwanzig Uhr dreißig und Mitternacht umgebracht worden, daß er sich aber lieber noch den Mageninhalt ansehen wolle, bevor er Genaueres sagen würde. Die Verletzung sei ihr mit einem Messer mit mittellanger Klinge, nach einem kräftigen Schlag auf den Hinterhauptsknochen, zugefügt worden.
    Adamsberg hörte auf, an die kleinen Einträge im Kalender zu denken, und betrachtete Danglard. Der Inspektor war blaß, konturlos, seine Arme baumelten an seinem schlaffen Körper herab. Er runzelte die Stirn.
    »Haben Sie gesehen, was da nicht stimmt, Danglard?« fragte ihn Adamsberg.
    »Ich weiß nicht. Mich stört daran, daß das rinnende Blut einen ganzen Teil des Kreidekreises bedeckt und fast ausgelöscht hat.«
    »Stimmt, Danglard. Und die Hand der Dame liegt direkt am Strich des Kreises. Wenn er seinen Kreis gezogen hat, nachdem er ihr die Kehle aufgeschlitzt hatte, hätte die Kreide vielleicht eine Spur im Blut hinterlassen müssen. Und außerdem, wenn ich der Mörder gewesen wäre, hätte ich das Opfer umkreist, um den Kreis zu zeichnen, und ich glaube nicht, daß ich dann ihrer Hand derart nahe gekommen wäre.«
    »Man könnte denken, der Kreis sei vorher gezogen worden, nicht wahr? Und der Mörder hätte die Leiche danach hineingelegt?«
    »Es sieht danach aus. Idiotisch, nicht wahr? Danglard, Sie werden sich mit den Leuten vom Labor und mit Meunier, wenn ich seinen Namen richtig im Kopf habe, dem Graphologen, darum kümmern. Jetzt werden uns die Fotos von Conti nützlich sein, ebenso wie die Maße aller vorhergehenden Kreise und die Kreideproben, die Sie entnommen haben. All das muß mit dem neuen Kreis hier verglichen werden, Danglard. Es muß herausgefunden werden, ob es derselbe Mann war, der ihn gezeichnet hat, oder nicht, und ob der Kreis vor oder nach dem Mord gezeichnet wurde. Sie, Delille, kümmern sich um die Wohnung, die Nachbarn, um Bekanntschaften und Freunde der Dame. Castreau, Sie übernehmen die Sache mit ihrem Arbeitsplatz, wenn sie einen hatte, und ihren Kollegen sowie ihrem Einkommen. Und Sie, Nivelle, erforschen ihre Familie, ihre Liebschaften und Zwistigkeiten sowie Erbschaften.«
    Adamsberg hatte ohne Eile gesprochen. Danglard hörte ihn zum ersten Mal Befehle erteilen. Das tat er, ohne daß es den Anschein hatte, als bilde er sich etwas darauf ein noch als wolle er sich dafür entschuldigen. Merkwürdig, alle Inspektoren schienen wie porös und aufnahmefähig für Adamsbergs Verhalten. So aufnahmefähig, wie wenn es regnet und man nichts anderes tun kann als seine Jacke naß werden zu lassen. Die Inspektoren wurden naß und begannen, ganz ohne es zu merken, sich zu verhalten wie Adamsberg, langsame Bewegungen zu machen, zu lächeln, abwesend zu wirken. Am meisten veränderte sich Castreau, der das mannhafte Gebrumm sehr gemocht hatte, das ihr vorheriger Kommissar von ihnen verlangt hatte, die ohne unnötige Kommentare geäußerten militärischen Befehle, das Verbot, in Ohnmacht zu fallen, kräftig zugeschlagene Wagentüren, in den Jackentaschen geballte Fäuste. Heute erkannte Danglard Castreau kaum wieder. Castreau blätterte in dem kleinen Kalender der Dame, las mit leiser Stimme einzelne Sätze, warf Adamsberg aufmerksame Blicke zu, schien jedes Wort abzuwägen, und Danglard sagte sich, daß er ihm vielleicht sein Problem mit den Leichen anvertrauen könne.
    »Wenn ich sie ansehe, muß ich mich fast übergeben«, sagte Danglard.
    »Bei mir ist es etwas anderes. Bei mir sitzt es in den Knien. Vor allem bei Frauen, auch bei so häßlichen Frauen wie ihr«, antwortete Castreau.
    »Was liest du in dem Kalender?«
    »Hör zu: ›Ich habe mir die Haare ondulieren lassen, aber ich bleibe häßlich. Papa war häßlich, und Mama war häßlich. Da kann man nicht träumen. Eine Kundin hat nach blauer Mohairwolle gefragt, und ich hatte keine mehr. Es gibt eben schlechte Tage.«
    Adamsberg sah zu, wie die vier Inspektoren wieder ins Auto stiegen. Er dachte an den kleinen Liebling, an Richard III. und an den Kalender der Dame. Eines Tages hatte der kleine Liebling gefragt: »Ist ein Mord so etwas wie ein zusammengeklumpter Haufen Fadennudeln? Reicht es aus, sie ins kochende Wasser zu werfen, um sie auseinanderzukriegen?

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