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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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in der Tiefe seiner Tasche mit Münzen. Geldsorgen, dachte Adamsberg. Danglard hatte ihm bereits vier Kinder gestanden, aber durch Gespräche im Büro wußte er, daß er fünf hatte und daß sie zusammen in drei Zimmern lebten und allein auf das Gehalt dieses grenzenlosen Vaters angewiesen waren. Aber niemand hatte Mitleid mit Danglard, Adamsberg nicht mehr als die anderen. Es war undenkbar, mit einem solchen Typen Mitleid zu haben. Da seine offenkundige Intelligenz um ihn herum eine Schutzzone von zwei Metern schuf, in der man aufpaßte, was man sagte, sobald man sie betrat, war Danglard eher das Objekt verhaltener Beobachtung als irgendwelcher Gesten der Hilfsbereitschaft. Adamsberg fragte sich, ob der »Philosophenfreund«, den Mathilde unaufhörlich zitierte, um sich zu beschreiben, eine ähnliche Zone um sich erzeugte und wie groß sie wohl sein mochte. Der Philosophenfreund schien einiges über Mathilde zu wissen. Vielleicht war er bei der abendlichen Feier im Dodin Bouffant dabeigewesen. Seinen Namen und seine Adresse herausfinden, ihn besuchen, ihn befragen, ein polizeilicher Winkelzug, der im verborgenen auszuführen wäre. Nicht die Art Sache, die Adamsberg im allgemeinen verlockte, aber diesmal verspürte er Lust, sie selbst zu übernehmen.
    »Es gibt einen Zeugen«, sagte Danglard. »Er war schon im Kommissariat, als ich gegangen bin. Er wartet auf mich, für seine vollständige Zeugenaussage.«
    »Was hat er gesehen?«
    »Er hat vergangene Nacht gegen zehn vor zwölf einen kleinen, mageren Mann gesehen, der ihn im Laufschritt überholte. Als er heute morgen die Nachrichten im Radio hörte, hat er den Zusammenhang begriffen. Er hat mir einen alten, schmächtigen, schnellen und glatzköpfigen Typen beschrieben, der eine Tasche unter dem Arm trug.«
    »Ist das alles?«
    »Offenbar verströmte er einen schwachen Geruch nach Essig.«
    »Nach Essig? Nicht nach faulem Apfel?«
    »Nein. Nach Essig.«
    Danglard war wieder besserer Laune.
    »Tausend Zeugen, tausend Nasen«, fügte er lächelnd hinzu und schlenkerte mit seinen langen Armen. »Und tausend Nasen, tausend Diagnosen. Und tausend Diagnosen, tausend Kindheitserinnerungen. Für den einen ein fauler Apfel, für den anderen Essig und morgen für wieder andere Muskatnuß, Bohnerwachs, gekochte Erdbeeren, Talkum, Vorhangstaub, Hustentee, Gewürzgürkchen... Der Mann mit den Kreisen muß einen Kindheitsgeruch ausströmen.«
    »Oder einen Schrankgeruch«, sagte Adamsberg.
    »Warum Schrank?«
    »Weiß ich nicht. Kindheitsgerüche stecken in Schränken, oder? Schränke sind unveränderlich. Und alle Gerüche vermengen sich darin, das wird zu einem Ganzen, etwas Allumfassendem.«
    »Wir schweifen ab.«
    »Gar nicht so sehr.«
    Danglard verstand, daß Adamsberg schon wieder abdriftete, daß er begann, die sowieso schon vagen Strukturen seines Denkens aufzugeben, und darum schlug er vor, ins Büro zurückzukehren.
    »Ich komme nicht mit, Danglard. Nehmen Sie die Zeugenaussage des Mannes mit dem Essig ohne mich auf, ich habe Lust, mir den ›Philosophenfreund‹ von Mathilde Forestier anzuhören.«
    »Ich dachte, der Fall von Madame Forestier interessiert Sie nicht.«
    »Er interessiert mich, Danglard. Ich stimme mit Ihnen überein: Sie versperrt uns ein wenig den Weg. Aber sie beunruhigt mich nicht ernstlich.«
    Danglard dachte sich so oder so, daß derart wenige Dinge den Kommissar ernstlich beunruhigten, daß er sich nicht bei den feinen Unterschieden aufhalten würde. Das heißt, doch. Die Geschichte mit dem großen, dummen, geifernden Hund und alles, was darauf folgte, hatte ihn offenbar ernstlich beschäftigt und tat dies wohl auch weiterhin. Und noch andere Dinge dieser Art, die er vielleicht eines Tages erfahren würde. Stimmt, das nervte ihn. Und je näher er Adamsberg kennenlernte, desto unerkennbarer wurde dieser, genauso unberechenbar wie ein Nachtfalter, dessen schwerfälliger, verrückter und kraftvoller Flug jeden ermüdet, der ihn fangen will. Aber er hätte Adamsberg das alles, diese Undeutlichkeit, diese Annäherung und diese Fluchten, während derer sein Blick abwechselnd zu erlöschen oder zu brennen schien, was in einem das Bedürfnis hervorrief, sich von ihm abzuwenden oder sich ihm zu nähern, gerne wegnehmen wollen. Er dachte, mit Adamsbergs Blick könnte er die Dinge oszillieren und ihre angemessenen Umrisse verlieren sehen, so wie es die Bäume im Sommer tun, wenn sie in der Hitze flirren. Daß die Welt dann weniger unerbittlich für ihn

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