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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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Majestätisch und bissig, aber prächtig und von Großzügigkeit durchdrungen. Bei Mathilde äußerte sich das brutal, bei Camille zärtlich. Danglard schien anders über Mathilde zu denken.
    »Hat Mathilde Kinder?«
    »Eine Tochter, Monsieur. Eine Schönheit. Möchten Sie ein Foto von ihr sehen?«
    Plötzlich wurde Clémence ganz Dame von Welt und respektvoll. Vielleicht war es an der Zeit, sich zu nehmen, was er hier suchte, bevor sie ihr Verhalten änderte.
    »Bloß kein Foto«, sagte Adamsberg. »Und ihr Philosophenfreund... Kennen Sie den?«
    »Sie stellen eine Menge Fragen, Monsieur. Das wird Mathilde doch nicht schaden?«
    »Nicht im geringsten, im Gegenteil, vorausgesetzt, es bleibt unter uns.«
    Das war die Art polizeilicher Hinterlist, die Adamsberg nicht besonders mochte, aber wie sollte er es anstellen, solche Sätze zu umgehen? Er sagte sie also auswendig auf wie Multiplikationstabellen, um es schnell hinter sich zu bringen.
    »Ich habe ihn schon zweimal gesehen«, sagte Clémence mit leichtem Stolz, während sie an ihrer Zigarette zog. »Er hat das hier geschrieben...«
    Sie spuckte ein paar Tabakkrümel aus, suchte im Bücherregal und hielt Adamsberg einen dicken Band hin: Die subjektiven Zonen des Bewußtseins, von Réal Louvenel. Réal, ein kanadischer Vorname. Adamsberg ließ für einen Augenblick die Erinnerungsfetzen, die dieser Name in ihm auslöste, in seinem Gedächtnis aufsteigen. Keiner wurde so richtig deutlich.
    »Er hat als Arzt angefangen«, erklärte Clémence murmelnd. »Anscheinend ist er ein bedeutender Kopf, ich sag's Ihnen lieber gleich. Ich weiß nicht, ob Sie dem gewachsen sind. Ich sag das nicht, um Sie zu verärgern, aber da muß man sich ganz schön ranhalten, um zu verstehen. Mathilde scheint ihm folgen zu können. Außerdem weiß ich noch, daß er allein mit zwölf Labradors lebt. Bei ihm muß es stinken, Allmächtiger.«
    Clémence hatte den respektvollen Ton abgelegt. Er hatte nicht lange angehalten. Jetzt machte sie wieder den Trottel vom Dienst. Plötzlich sagte sie:
    »Und Sie? Ist das interessant mit dem Mann mit den Kreisen? Machen Sie was aus Ihrem Leben? Oder stümpern Sie damit rum wie alle anderen?«
    Die Alte würde ihm am Ende noch Unwohlsein bereiten, was nicht häufig vorkam. Nicht daß die Fragen ihn störten. Im Grunde waren es alltägliche Fragen. Aber an dieser Kleidung, an diesen Lippen, die sich nicht öffneten, diesen wegen der Dias behandschuhten Händen und diesen fortwährenden Reden fand er nicht das geringste Vergnügen. Sollte Mathildes Güte doch damit zurechtkommen, Clémence aus ihrem Schlamassel herauszuhelfen. Er hatte keine Lust, sich stärker dahinein verwickeln zu lassen. Er hatte seine Auskunft, das reichte. Er ging rückwärts hinaus, während er ein paar Nettigkeiten murmelte, um sich keine Sorgen machen zu müssen.
    Bei der Suche nach der Adresse und der Telefonnummer von Réal Louvenel ließ sich Adamsberg Zeit. Bei seinem Anruf antwortete ihm die kreischende Stimme eines überreizten Mannes, er sei einverstanden, ihn an diesem Nachmittag zu sehen.
    Es stank bei Réal Louvenel tatsächlich nach Hund. Er bewegte sich ständig unruhig hin und her und war derart unfähig, auf einem Stuhl sitzen zu bleiben, daß Adamsberg sich fragte, wie er es wohl anstellte zu schreiben. Später erfuhr er, daß Louvenel seine Bücher diktierte. Während er bereitwillig auf Adamsbergs Fragen antwortete, machte er zehn andere Dinge gleichzeitig, leerte einen Aschenbecher, stopfte Papiere in den Papierkorb, schneuzte sich, pfiff nach einem Hund, klimperte auf dem Klavier, schnallte seinen Gürtel ein Loch enger, setzte sich, stand wieder auf, schloß das Fenster, strich über den Sessel. Eine Fliege hätte ihm nicht folgen können. Erst recht nicht Adamsberg. Während er sich diesem ermüdenden Flirren so gut er konnte anpaßte, versuchte er, die Informationen, die in den äußerst komplizierten Sätzen Louvenels aufblitzten, aufzunehmen, wobei er sich anstrengte, sich von dem Schauspiel des Mannes, der zwischen allen Wänden des Raumes umhersprang, und den Hunderten Fotos, die Labradorwürfe oder nackte junge Männer zeigten, nicht ablenken zu lassen. Er hörte Louvenel sagen, daß Mathilde größer und tiefer hätte sein können, wenn ihr innerer Drang sie nicht immer von ihren ursprünglichen Vorhaben abbringen würde, und daß sie sich in den Hörsälen der Universität kennengelernt hätten. Dann sagte er, daß sie im Dodin Bouffant vollständig

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