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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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darüber Bescheid wußten? Das bringt Sie in eine schwierige Lage. Sie wissen, daß Ihre Situation bereits jetzt nicht sehr klar ist. Sie sind wie durch ein Wunder bei Mathilde aufgekreuzt, und Sie haben kein Alibi für die Mordnacht.«
    »Das wissen Sie auch?«
    »Natürlich. Danglard arbeitet.«
    »Wenn ich es Ihnen nicht selbst gestanden hätte, hätten Sie versucht, es herauszufinden, und Sie hätten es erfahren. Also lieber gleich den schlechten Eindruck einer Lüge vermeiden, nicht wahr?«
    Reyer lächelte jenes fiese Lächeln, das aussah, als wollte er den gesamten Kosmos zertrümmern.
    »Aber ich wußte nicht, daß es sich um Madame Forestier handelte, mit der ich im Café in der Rue Saint-Jacques sprach«, fügte er hinzu. »Das habe ich mir erst später zusammengereimt.«
    »Ja«, bemerkte Adamsberg, »das haben Sie bereits gesagt.«
    »Sie wiederholen sich auch.«
    »Das ist in bestimmten Phasen der Ermittlung immer so: Man wiederholt sich. Journalisten sagen dann, die Ermittlungen seien ›festgefahren‹.«
    »Phase 2 und 3«, seufzte Mathilde.
    »Und plötzlich«, fuhr Adamsberg fort, »überstürzt sich alles, und man hat nicht mal mehr die Zeit zu reden.«
    »Phase 1«, fügte Mathilde hinzu.
    »Sie haben recht, Mathilde«, sagte Adamsberg und sah sie an. »Im Leben ist es genauso. Es verläuft in Trägheit und plötzlichen Sprüngen.«
    »Das ist eine banale Vorstellung«, brummte Charles.
    »Ich sage häufig banale Dinge«, erwiderte Adamsberg. »Ich wiederhole mich, ich gebe Binsenweisheiten von mir, kurz, ich enttäusche. Passiert Ihnen das nie, Monsieur Reyer?«
    »Ich versuche es zu vermeiden«, sagte der Blinde. »Ich hasse gewöhnliche Gespräche.«
    »Ich nicht«, sagte Adamsberg. »Es ist mir gleichgültig.«
    »Es reicht«, bemerkte Mathilde. »Ich mag es nicht, wenn der Kommissar diesen Ausdruck annimmt. Wir werden so nicht weiterkommen. Ich erwarte Sie lieber bei Ihrem ›Sprung‹, Kommissar, wenn das Licht in Ihre Augen zurückgekehrt ist.«
    »Das ist eine banale Vorstellung«, erwiderte Adamsberg lächelnd.
    »Stimmt, Mathilde schreckt in ihren poetisch-sentimentalen Metaphern vor keiner Ungeheuerlichkeit zurück«, bemerkte Reyer. »In einer Weise, die sich völlig von der Ihren unterscheidet.«
    »Ist jetzt Schluß damit? Können wir gehen?« fragte Mathilde. »Sie nerven mich alle beide. Und auch auf ganz unterschiedliche Weise.«
    Adamsberg machte ein Zeichen mit der Hand, lächelte und war allein.
    Warum hatte Charles Reyer es für nötig gehalten, zu präzisieren: »Das ist alles, was ich erfahren habe«?
    Weil er mehr als das erfahren hatte. Und warum hatte er diesen Fetzen der Wahrheit gestanden? Um alle weiteren Nachforschungen zu verhindern.
    Adamsberg rief also im Hotel des Grands Hommes an. Der Angestellte an der Rezeption erinnerte sich an die Zeitung vom 5. Arrondissement und was der Gast darüber gesagt hatte. An den Blinden auch, natürlich. Wie hätte er einen solchen Blinden vergessen sollen?
    »Hat Reyer mehr über den Artikel wissen wollen?« fragte Adamsberg.
    »Ja, tatsächlich, Herr Kommissar. Er hat mich gebeten, ihn ganz vorzulesen. Sonst hätte ich mich nicht daran erinnert.«
    »Und wie hat er reagiert?«
    »Schwer zu sagen, Herr Kommissar. Es gibt bei ihm so ein Lächeln, daß es einem kalt den Rücken runterläuft, ein Lächeln, bei dem Sie sich wie ein Trottel vorkommen. An dem Tag hatte er so ein Lächeln, aber ich habe nie verstanden, was es bedeuten sollte.«
    Adamsberg dankte ihm und legte auf. Charles Reyer hatte mehr wissen wollen. Und er hatte Mathilde zum Kommissariat begleitet. Mathilde ihrerseits wußte mehr, als sie gesagt hatte, über den Mann mit den Kreisen. All das konnte natürlich auch nicht die geringste Bedeutung haben. Es ärgerte ihn, über derlei Auskünfte nachdenken zu müssen. Er befreite sich davon, indem er sie Danglard übergab. Falls nötig, würde Danglard alles Erforderliche sehr viel besser tun als er. Auf diese Weise würde er weiter an den Mann mit den Kreisen denken können, und zwar an ihn allein. Mathilde hatte recht, er wartete auf den Sprung. Er wußte auch, was sie mit ihrem abgedroschenen Bild von dem »Licht in den Augen« hatte sagen wollen. Es war zwar abgedroschen, aber das Licht in den Augen gab es trotzdem. Man hat es, oder man hat es nicht. Bei ihm hing das vom jeweiligen Moment ab. Und im Augenblick wußte er sehr gut, daß sein Blick irgendwo auf dem Meer verlorengegangen war.
     
    ***
     
    In der Nacht

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