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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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hatte er einen scheußlichen Traum, ein Gemisch aus Lust und grotesken Szenen. Er sah, wie Camille als Hotelboy gekleidet das Zimmer betrat. Mit ernstem Gesicht hatte sie ihre Kleidung abgelegt und sich neben ihm ausgestreckt. Obwohl er selbst im Traum die Vorahnung hatte, daß er sich auf einer verdammt schiefen Bahn befand, hatte er nicht widerstanden. Und der Hotelboy aus Kairo hatte gelacht und ihm alle zehn Finger gezeigt, was heißen sollte: ›lch habe sie zehnmal geheiratet.‹ Dann war Mathilde gekommen und hatte gesagt: ›Er will dich einsperren‹, und hatte ihre Tochter aus seinen Armen gezogen. Und er hatte sie an sich gedrückt. Lieber verrecken, als sie Mathilde überlassen. Und er hatte gemerkt, daß sein Traum völlig ausartete, daß die anfängliche Lust vergangen war und es besser wäre, dem ein Ende zu bereiten und aufzuwachen. Es war vier Uhr morgens.
    Adamsberg stand auf und sagte »Scheiße«.
    Er ging in der Wohnung umher. Ja, er war auf einer verdammt schiefen Bahn. Wenn Mathilde wenigstens nichts von ihrer Tochter gesagt hätte, dann hätte Camille nicht plötzlich dieses Wirklichsein zurückgewonnen, das er über Jahre hinweg ohne Anstrengung von sich ferngehalten hatte.
    Nein. Es hatte früher angefangen, als er plötzlich glaubte, sie sei tot. In dem Moment war Camille aus den entfernten Gefilden zurückgekehrt, in denen sie sich entwickelte, wie er mit Zärtlichkeit und Distanz sah. Aber da hatte er bereits Mathildes Bekanntschaft gemacht, und deren ägyptisches Gesicht hatte Camille mit noch größerer Heftigkeit wiederauferstehen lassen als zuvor, ja, so hatte alles begonnen. So hatte diese gefährliche Folge von Gefühlen ihren Lauf genommen, die in seinem Kopf gegeneinanderschlugen, von Erinnerungen, die sich wie Ziegel im Sturm hoben, die hier und da Löcher in ein bis dahin sorgfältig unterhaltenes Dach rissen. Scheiße. Eine verdammt schiefe Bahn. Adamsberg hatte immer nur wenig Hoffnung und wenig Erwartungen in die Liebe gesetzt, nicht, daß er gegen Gefühle gewesen wäre, was nichts besagt hätte, aber sie bildeten nicht den wesentlichen Teil seines Lebens. So war es eben, eine Schwäche, dachte er manchmal, eine Chance, dachte er andere Male. Und diesen Mangel an Glauben stellte er nicht in Frage. In dieser Nacht nicht mehr als in einer anderen. Aber während er mit langen Schritten in der Wohnung umherging, merkte er, daß er Camille für eine Stunde an sich drücken wollte. Es nicht zu können enttäuschte ihn, er schloß die Augen, um es sich vorzustellen, und das tat ihm überhaupt nicht gut. Wo war Camille? Warum war sie nicht hier, um sich an ihn zu schmiegen bis zum Morgen? Es erbitterte ihn, daß er in diesem weder jetzt noch jemals zu verwirklichenden Sehnen gefangen war. Nicht dieses Sehnen erbitterte ihn, vielmehr das Gefühl, seine Zeit und seine Träume in nutzlosen und rückwärtsgewandten Vorstellungen zu verlieren, während das Leben für ihn doch seit langem leichter gewesen wäre, wenn er es geschafft hätte, sich davon frei zu machen. Und befreit davon war er wirklich nicht. Es war schon ein ganz schöner Mist gewesen, Mathilde zu begegnen.
    Adamsberg ging nicht wieder schlafen und öffnete um fünf nach sechs die Tür zu seinem Büro. Zehn Minuten später nahm er den Anruf des Kommissariats vom 6. Arrondissement entgegen. An der Ecke des Boulevard Saint-Michel und der langen und verlassen daliegenden Rue du Valde-Grace war ein Kreis entdeckt worden. In seiner Mitte lag ein Miniwörterbuch Englisch-Spanisch. Etwas mitgenommen von der Nacht, nutzte Adamsberg die Gelegenheit, ein paar Schritte zu tun. Ein Polizist war bereits vor Ort und wachte über den blauen Kreis wie über das Grabtuch Christi. Der Beamte stand sehr starr und aufrecht nahe dem kleinen Wörterbuch. Der Anblick war lächerlich.
    Täusche ich mich? fragte Adamsberg.
    Zwanzig Meter weiter unten auf dem Boulevard hatte bereits ein Café geöffnet. Es war sieben Uhr. Er setzte sich auf die Terrasse und fragte den Kellner, wann das Café in der Nacht schloß und wer zwischen elf Uhr abends und halb eins hier gearbeitet hatte. Er dachte, daß der Mann mit den Kreisen eventuell an diesem Bistrot vorbeigegangen war, um zur Metrostation Luxembourg zu kommen. Der Wirt kam, um ihm persönlich zu antworten. Er war recht aggressiv, und Adamsberg zeigte ihm seinen Ausweis.
    »Ihr Name ist mir nicht unbekannt«, sagte der Wirt. »Sie sind berühmt in Ihrem Beruf.«
    Adamsberg nahm das widerspruchslos

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