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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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da was nicht. Ich hätte ihm ja empfohlen, was zu trinken, aber er war enthaltsam. Damals habe ich mir in meinem Notizbuch notiert: ›Kleiner Mann, der gierig auf Macht ist, sie aber nicht hat. Wie wird er es anstellen?‹ Sehen Sie, meine Betrachtungen sind immer sehr summarisch. Réal sagt das immer: ›Mathilde du bist summarisch.‹ Dann habe ich den Typen sein lassen. Er hat mich nervös und traurig gemacht. Ich verfolge die Leute, um mir was Gutes zu tun, nicht um in ihren Schmerzen herumzuschnüffeln. Aber als ich dann den Mann mit den Kreisen sah und seine Art, sich hinzukauern und dabei seinen Mantel hochzuschlagen, da hat mich das an eine bekannte Gestalt erinnert. Eines Abends habe ich meine Notizbücher durchgeblättert, habe die Erinnerung an den kleinen, gierigen, aber machtlosen Mann hervorgekramt und mir gesagt: ›Warum nicht? Ist das die Lösung, die er gefunden hat, um die Macht zu bekommen?‹ Da ich immer noch summarisch bin, habe ich es dabei belassen. Sehen Sie, Adamsberg, Sie sind enttäuscht. Für derlei erbärmliche Auskünfte war es nicht nötig, all diese Heimlichtuereien bei mir und Réal zu veranstalten.«
    Aber Mathilde war nicht mehr wütend.
    »Warum haben Sie mir das nicht sofort gesagt?«
    »Ich war mir nicht sicher genug, nicht wirklich überzeugt. Und außerdem wissen Sie sehr gut, daß ich den Mann mit den Kreisen ein bißchen beschütze. Man könnte meinen, er habe nur mich im Leben. Es ist eine dieser Pflichten, denen man sich nicht entziehen kann. Und außerdem hat es mich immer angewidert, daß meine persönlichen Aufzeichnungen als Denunziationskartei dienen könnten, verdammt.«
    »Verständlich«, sagte Adamsberg. »Warum sagen Sie ›gierig‹, wenn Sie von ihm reden? Das ist komisch, Louvenel hat dasselbe Wort verwendet. Jedenfalls haben Sie sich mit all den Erklärungen im Dodin Bouffant eine verdammte Bekanntheit verschafft. Man brauchte sich nur an Sie zu wenden, um mehr zu erfahren.«
    »Wozu?«
    »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Die Zwangsgsneurose des Mannes mit den Kreisen ist eine Aufforderung zum Morden.«
    Als er »Zwangsneurose« sagte, um zu vereinfachen, dachte er daran, was Vercors-Laury ihm erklärt hatte: daß der Mann im Grunde nicht die Kennzeichen eines Zwangsneurotikers aufwies. Das befriedigte ihn.
    »Hatten Sie keinerlei besonderen Besuch nach der Nacht im Dodin Bouffant und dem Zeitungsartikel?« fragte Adamsberg.
    »Nein«, antwortete Mathilde. »Anders gesagt: Alle Besuche, die ich empfange, sind besonders.«
    »Haben Sie den Mann mit den Kreisen nach diesem Abend noch mal verfolgt?«
    »Natürlich, einige Male.«
    »War niemand in Ihrer Nähe?«
    »Mir ist nichts aufgefallen. In Wahrheit habe ich mich darum nicht gekümmert.«
    »Und Sie?« fragte Adamsberg und wandte sich zu Charles Reyer. »Was machen Sie hier?«
    »Ich begleite Madame, Herr Kommissar.«
    »Warum?«
    »Zur Zerstreuung.«
    »Oder um mehr zu erfahren. Man hat mir doch gesagt, daß Mathilde Forestier entgegen allen Regeln der Zunft allein taucht, wenn sie tauchen geht. Es ist nicht ihre Art, für Begleitung und Schutz zu sorgen.«
    Der Blinde lächelte.
    »Madame Forestier war wütend. Sie hat mich gefragt, ob ich mitkommen und mir das ansehen wolle. Ich habe eingewilligt. Das füllt den Feierabend aus. Aber ich bin auch enttäuscht. Sie haben Mathilde ein bißchen zu schnell auseinandergenommen.«
    »Verlassen Sie sich nicht darauf«, erwiderte Adamsberg lächelnd, »sie hat noch viele Lügen in Reserve. Was aber ist mit Ihnen: Kannten Sie zum Beispiel den Artikel in der Zeitung des 5. Arrondissements?«
    »Die gibt's nicht in Blindenschrift«, brummte Charles. »Aber trotzdem wußte ich davon. Macht Sie das glücklich? Und Sie, Mathilde, erstaunt Sie das? Macht Ihnen das angst?«
    »Ist mir völlig egal«, bemerkte Mathilde.
    Charles zuckte mit den Schultern und fuhr mit den Fingern unter seine dunkle Brille.
    »Im Hotel hatte jemand davon gesprochen«, fuhr er fort. »Ein Gast in der Eingangshalle.«
    »Sehen Sie«, sagte Adamsberg und wandte sich Mathilde zu, »die Informationen verbreiten sich schnell, bis hin zu denen, die sie nicht lesen können. Was hat dieser Gast in der Eingangshalle gesagt?«
    »Irgend etwas wie: ›Die grande dame des Meeres hat sich schon wieder was geleistet! Sie läßt sich mit dem Verrückten mit den blauen Kreisen ein!‹ Das ist alles, was ich darüber erfahren habe. Nicht sehr genau.«
    »Warum gestehen Sie mir so bereitwillig, daß Sie

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