Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
stammte von Delphine Le Nermord. Die Jagd auf Clémence begann.
Auch auf diese Nachricht hin blieb Adamsberg bedrückt. Danglard dachte wieder an die drei Dinge, die den Kommissar irritierten. Doktor Pontieux. Aber das hatte er geregelt. Blieb die Modezeitschrift. Und der faule Apfel. Was sollte das jetzt noch, verdammt? Danglard dachte, daß Adamsberg eine ganz eigene Art hatte, sich das Leben zu vermiesen. Es schien ihm, als habe Adamsberg ungeachtet seines unbekümmerten Auftretens eine wirkungsvolle Methode, niemals Ruhe zu finden.
***
Die Tür zwischen dem Büro des Kommissars und seinem eigenen blieb die meiste Zeit offen. Adamsberg mußte sich nicht zurückziehen, um allein zu sein. So kam es, daß Danglard kam und ging, Akten vorbeibrachte, ihm eine Notiz vorlas, wieder ging oder sich setzte, um kurz etwas zu sagen. Es kam auch vor - nach der Flucht von Clémence noch häufiger -, daß Adamsberg für nichts empfänglich war und seine Lektüre fortsetzte, ohne den Blick zu heben, ohne daß diese Unaufmerksamkeit kränkend gewesen wäre, denn sie geschah nicht willentlich. Übrigens, dachte Danglard, war es mehr Abwesenheit als Unaufmerksamkeit. Denn aufmerksam war Adamsberg. Aber worauf? Er hatte übrigens eine eigenartige Art zu lesen, meistens im Stehen, die Arme an den Rumpf gepreßt und den Blick auf die auf seinem Schreibtisch ausgebreiteten Notizen gesenkt. So konnte er Stunden verbringen. Danglard, der jeden Tag seinen müden Körper und seine ermatteten Beine spürte, fragte sich, wie Adamsberg das durchhalten konnte.
In diesem Augenblick stand der Kommissar da und betrachtete ein kleines Notizbuch mit leeren Seiten, das aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch lag.
»Es sind jetzt sechzehn Tage«, sagte Danglard und setzte sich.
»Ja«, erwiderte Adamsberg.
Diesmal wandte sich sein Blick von der Lektüre ab und richtete sich auf Danglard, aber es gab ja auch nichts in dem kleinen Notizbuch zu lesen.
»Das ist nicht normal«, fuhr Danglard fort. »Man hätte sie bereits finden müssen. Sie muß sich doch bewegen, irgendwo essen, trinken, schlafen. Und ihre Beschreibung steht in allen Zeitungen. Sie kann uns nicht entwischen. Schon gar nicht mit einem solchen Aussehen. Und trotzdem ist es eine Tatsache: Sie entwischt uns.«
»Ja«, sagte Adamsberg. »Sie entwischt uns. Irgendwas stimmt da nicht.«
»Das würde ich nicht sagen«, entgegnete Danglard. »Ich würde sagen, daß wir zu lange brauchen, um sie wiederzufinden, aber daß wir es schaffen werden. Die Alte weiß, wie sie sich unauffällig macht. In Neuilly war sie nicht sehr bekannt. Was haben die Nachbarn gesagt? Daß sie nicht besonders auffiel, daß sie selbständig war, nicht schön, immer mit ihrer verdammten Baskenmütze auf dem Kopf und wie besessen von ihren Kontaktanzeigen. Sonst war nichts weiter rauszukriegen. Zwanzig Jahre hat sie da gelebt, und niemand weiß, ob sie irgendwo Freunde hat, niemand kennt irgendeinen Aufenthaltsort, und niemand erinnert sich, wann genau sie eigentlich weg ist. Anscheinend ist sie nie in Ferien gefahren. Es gibt so Leute, die ihr Leben leben, und keiner bemerkt sie. Da wundert es nicht, daß sie schließlich angefangen hat zu morden. Aber es ist nur eine Frage von Tagen. Wir werden sie finden.«
»Nein. Irgendwas stimmt da nicht.«
»Was ist da zu verstehen?«
»Das versuche ich gerade herauszufinden.«
Entmutigt stand Danglard in drei Etappen auf, Rumpf, Hintern, Beine, und ging im Zimmer umher.
»Ich würde gern versuchen herauszufinden, was Sie versuchen herauszufinden«, sagte er.
»Ach übrigens, Danglard, das Labor kann die Modezeitschrift zurückhaben. Ich bin fertig.«
»Fertig womit?«
Schon im voraus besorgt über die zu erwartende Diskussion, die zu nichts führen würde, wollte Danglard zurück in sein Büro, aber er konnte nicht umhin, Adamsberg zu verdächtigen, in seinem Kopf Gedanken, wenn nicht sogar Hypothesen zu wälzen, die ihn neugierig machten. Auch wenn er den Verdacht hatte, daß diese Gedanken für Adamsberg selbst noch nicht ganz greifbar waren.
Adamsberg betrachtete erneut das Notizbuch.
»In der Modezeitschrift ist ein Artikel von Delphine Vitruel«, sagte er. »Das ist der Mädchenname von Delphine le Nermord, wenn Ihnen das lieber ist. Die Chefredakteurin hat mir erzählt, daß Delphine regelmäßig bei ihrer Zeitschrift mitgearbeitet und beinahe jeden Monat Artikel über den Zeitgeist, die wechselnden Moden, über die Begeisterung für Reifrockkleider
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