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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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oder Strumpfnähte geliefert hat.«
    »Und das hat Sie interessiert?«
    »Enorm. Ich habe die ganze Sammlung gelesen. Das hat mich ziemlich viel Zeit gekostet. Und dann noch die faulen Äpfel. Ich beginne ein paar Sachen zu verstehen.«
    Danglard schüttelte den Kopf.
    »Was soll das noch mit den faulen Äpfeln?« fragte er. »Wir werden Le Nermord doch nicht vorwerfen, daß er nach Angst gerochen hat! Warum sich noch mit ihm beschäftigen, verdammt?«
    »Alles, was klein und grausam ist, beschäftigt mich. Sie haben Mathilde zu viel zugehört. Sie verteidigen jetzt den Mann mit den Kreisen.«
    »Ich mache nichts dergleichen. Ich beschäftige mich nur mit Clémence und lasse ihn in Ruhe.«
    »Ich beschäftige mich auch mit Clémence, nur mit Clémence. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Le Nermord niederträchtig ist.«
    »Kommissar, angesichts der Vielzahl von Bedürftigen muß man sparsam sein mit seiner Verachtung. Und das sage nicht ich.«
    »Wer sonst?«
    »Chateaubriand.«
    »Schon wieder... Was hat er Ihnen nur getan?«
    »Sicherlich etwas Böses. Aber lassen wir das. Ganz offen, Kommissar: Verdient der Mann mit den Kreisen soviel Gehässigkeit? Immerhin ist er ein großer Historiker.«
    »Das wäre noch zu überlegen.«
    »Ich gebe es auf«, sagte Danglard und setzte sich wieder. »Jedem seine Obsessionen. Ich habe Clémence im Kopf. Ich muß sie finden. Irgendwo ist sie, und ich werde sie aufstöbern. Das ist unausbleiblich. Das ist logisch.«
    »Aber eine törichte Logik«, sagte Adamsberg lächelnd, »ist der Dämon der schlichten Gemüter. Und das sage nicht ich.«
    »Sondern?«
    »Da liegt der Unterschied zwischen Ihnen und mir: Ich weiß nicht, wer das gesagt hat. Aber ich mag den Satz, er kommt mir gelegen, verstehen Sie. Ich bin so wenig logisch. Ich werde ein Stückchen gehen, Danglard, ich hab's nötig.«
     
    ***
     
    Adamsberg lief bis zum Abend. Das war die einzige wirksame Methode, um seine Gedanken zu sortieren. Als ob die Gedanken dank der Bewegung des Laufens wie Teilchen in einer Flüssigkeit gerüttelt würden. So daß die schwereren zu Boden sanken und die leichteren an der Oberfläche blieben. Am Ende zog er daraus keinen endgültigen Schluß, aber verfügte doch über eine geklärte Liste seiner Ideen, sozusagen nach Schwere geordnet. Im Vordergrund wogten sanft solche Dinge wie der arme alte Le Nermord, sein Abschied von Byzanz, das Klappern seines Pfeifenmundstücks gegen seine Schneidezähne, die gar nicht vom Tabak vergilbt waren. Ein Gebiß. Dann kamen die faulen Äpfel, die Mörderin Clémence, die mit ihrer schwarzen Mütze, ihren Nylonblusen und ihren rotgeränderten Augen verschwunden war.
    Er erstarrte. Dort hinten winkte eine junge Frau einem Taxi. Es war schon dämmrig, er konnte es nicht mehr genau erkennen, er rannte los. Es war zu dämmrig und verlorene Mühe, das Taxi fuhr weg. Er blieb am Rand des Bürgersteigs stehen und atmete heftig. Warum war er gerannt? Es wäre gut gewesen, Camille in ein Taxi steigen zu sehen, ohne so zu rennen. Ohne auch nur daran zu denken, daß man sie einholen müßte.
    Er ballte die Fäuste in den Taschen seiner Jacke. Ein wenig Ergriffenheit. Das war normal.
    Normal. Unnötig, eine große Sache daraus zu machen. Camille sehen, überrascht sein, rennen, ganz normal, ein bißchen ergriffen zu sein. Das machte die Überraschung. Oder die Schnelligkeit. Jeder andere hätte genau dieselben zitternden Hände.
    War sie es eigentlich wirklich gewesen? Wahrscheinlich nicht. Sie lebte am Ende der Welt. Sie mußte am Ende der Welt sein, das war unerläßlich. Aber das Profil, der Körper, die Art, die Scheibe mit beiden Händen zu halten, um mit dem Fahrer zu reden? Na und? Nichts Außergewöhnliches. Camille war am anderen Ende der Welt. Da gab es nichts zu diskutieren, also gab es auch keinen Grund mehr, sich wegen dieser Frau und diesem Taxi aufzuregen.
    Und wenn es Camille gewesen war? Nun, wenn es Camille war, dann hatte er sie verpaßt. Das war alles. Und sie hatte ein Taxi genommen, um wieder ans Ende der Welt aufzubrechen. Also völlig unnötig, darüber nachzudenken, nichts hatte sich verändert. Nacht über Camille, immer. Auftauchen. Verschwinden.
    Etwas beruhigt setzte er seinen Weg fort und murmelte immer wieder die beiden Wörter vor sich hin. Er wollte rasch einschlafen, um die Pfeife des alten Le Nermord, die Baskenmütze von Clémence und das verstrubbelte Haar des kleinen Lieblings zu vergessen.
    Das tat

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