Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
öffnete dann einen leeren Wandschrank, eine Schublade, bevor er wieder umherging. »Er denkt an nichts«, sagte sich Danglard wütend, vor allem wütend über ihren Mißerfolg. Er hätte sich gewünscht, Adamsberg würde vor Wut explodieren, würde handeln und reagieren, sich aufregen, Befehle erteilen um diesen Schlamassel auf irgendeine Weise wiedergutzumachen, aber es war sinnlos, darauf zu hoffen, daß er etwas derartiges tun würde. Im Gegenteil, er willigte mit einem strahlenden Lächeln in den Kaffee ein, den die bestürzte Mathilde ihnen anbot.
Von ihrer Wohnung aus rief Adamsberg das Kommissariat an und beschrieb Clémence so genau wie möglich.
»Geben Sie die Beschreibung an alle Bahnhöfe, Flughäfen, Grenzstationen und alle Gendarmerien. Also die übliche Treibjagd. Und schicken Sie einen Wachposten her. Die Wohnung muß ständig überwacht werden.«
Er legte leise auf und trank seinen Kaffee, als ob nichts Ernstes passiert wäre.
»Sie sollten sich stärken. Sie sehen nicht gut aus«, sagte er zu Mathilde. »Danglard, versuchen Sie, Madame Forestier alles zu erklären, was geschehen ist, aber schonen Sie sie. Entschuldigen Sie, daß ich es nicht selbst mache. Ich finde, ich erkläre schlecht.«
»Haben Sie in den Zeitungen gelesen, daß Le Nermord von den Morden entlastet wurde und daß er der Mann mit den Kreisen war?« begann Danglard.
»Allerdings«, erwiderte Mathilde. »Ich habe sogar sein Foto gesehen. Es ist tatsächlich der Mann, den ich verfolgt habe, und es ist tatsächlich auch der Mann, der vor acht Jahren in dem kleinen Restaurant von Pigalle gegessen hat. Harmlos! Ich habe es Adamsberg wieder und wieder gesagt! Gedemütigt, frustriert, alles, was Sie wollen, aber harmlos! Ich hatte es gesagt, Kommissar!«
»Ja, Sie haben es gesagt. Und ich nicht«, sagte Adamsberg.
»Ganz genau«, sagte Mathilde mit Nachdruck. »Aber wo ist die Spitzmaus? Warum suchen Sie sie? Sie ist gestern abend von ihrem Besuch auf dem Land zurückgekehrt; sie war wieder ganz auf dem Damm und sehr adrett. Ich verstehe nicht, warum sie sich erneut verdrückt hat.«
»Hat Sie Ihnen schon mal von dem Verlobten erzählt, der sie plötzlich sitzengelassen hat?«
»Mehr oder weniger«, antwortete Mathilde. »Es hat nicht so tiefe Spuren hinterlassen, wie man glauben könnte. Sie wollen sich doch nicht in eine solche Wald- und Wiesenpsychologie stürzen, oder?«
»Geht nicht anders«, sagte Danglard. »Gérard Pontieux, das zweite Opfer, war ihr Verlobter vor fünfzig Jahren.«
»Sie spinnen«, bemerkte Mathilde.
»Nein, ich komme gerade von dort zurück«, sagte Danglard, »aus dem Heimatdorf der beiden. Sie stammt nicht aus Neuilly, Mathilde.«
Adamsberg registrierte beiläufig, daß Danglard Madame Forestier »Mathilde« nannte.
»Wut und Wahnsinn haben sich über fünfzig Jahre hinweg allmählich durchgesetzt«, fuhr Danglard fort. »Am Ende eines Lebens angekommen, das sie als gescheitert ansah, ist sie schließlich auf die Seite des Mordes abgeglitten. Die Gelegenheit bot sich, als der Mann mit den Kreisen auftauchte. Jetzt oder nie, das war der Moment, ihr Vorhaben umzusetzen. Sie hatte die Spur von Gérard Pontieux, von dem sie wie besessen war, nie verloren. Sie wußte, wo er wohnte. Sie hat Neuilly verlassen und sich an Sie gewandt, Mathilde, um den Mann mit den Kreisen zu finden. Sie allein konnten sie zu ihm führen. Und zu den Kreisen. Als erstes hat sie die dicke Frau ermordet, die sie nicht kannte, um eine ›Serie‹ zu beginnen. Dann hat sie Pontieux die Kehle durchgeschnitten. Das hat ihr derart gut getan, daß sie sich richtig in ihn verbissen hat. Schließlich hat sie aus der Furcht heraus, die Ermittlungen könnten nicht schnell genug zu dem Mann mit den Kreisen führen und sich zu lange bei dem Fall des Arztes aufhalten, die Frau des Mannes mit den Kreisen abgestochen, Delphine Le Nermord. Damit es in die Serie paßt, hat sie sie genauso übel mit Schnitten zugerichtet wie Pontieux, damit der Arzt sich für uns durch keinerlei Unterschied hervorhob. Mit dem einzigen Unterschied, daß es ein Mann war.«
Danglard warf einen Blick auf Adamsberg, der nichts sagte und ihm bedeutete fortzufahren.
»Ihr letzter Mord hat uns also direkt zu dem Mann mit den Kreisen geführt, genau wie sie es vorgesehen hatte. Aber Clémence Valmont hat einen verworrenen, zugleich aber auch schlichten Geist. Gleichzeitig der Mann mit den Kreisen und der Mörder der eigenen Frau zu sein, genau das war zuviel. Das
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