Es geht uns gut: Roman
überbelichtete Straße. Im Beschwerdeton sagt er:
– Sissi, du weißt ja gar nicht, was ich erzählen will.
– Nur zu.
– Die Alarmanlage, die ich im ersten Jahr –.
– Bei der immer, wenn man eine der Türen geöffnet hat, die Hupe losgegangen ist.
Gekonnt spuckt Sissi mit Schwung einen Kirschkern quer durch das Auto zu Philipps Fenster, schwups, draußen. Ihr Blick bleibt seitwärts bei ihrem Bruder.
– He! empört sich Philipp.
Ein Lächeln kräuselt sich auf ihren Lippen. Man hört das Rascheln der fransigen Papiertüte. Sissi steckt sich eine weitere Kirsche in den Mund.
– Und daß dir die Nachbarn Prügel angetragen haben, weil die Alarmanlage auch für dich nicht zu umgehen war. Ob morgens, ob abends.
– Es freut mich, Sissi, daß du so gut informiert bist. Da hast du genügend Stoff zum Nachdenken.
Und kurz darauf:
– Die späten vierziger und frühen fünfziger Jahre, ich kann euch sagen. Was für ein Mond. Was für sibirische Nächte. Habe ich euch auch von meiner Ferialarbeit beim Bau des Kraftwerks Kaprun erzählt?
– Nicht nur einmal.
– Mhm-mhm.
Im Rückspiegel erhascht er einen Blick auf Sissis unausgeschlafenes (erschöpftes?) Gesicht. Er nimmt wahr (zumindest in Teilen), wie ihre Zungenspitze einen Kirschkern hinter die locker vorgewölbten Lippen schiebt, wie sie tief Atem holt, wie sie den Kopf senkt und ihn dann hochwirft, während sie gleichzeitig den Kern in Richtung ihres eigenen Fensters schleudert, mit einem hörbaren Flup!
Peter packt seine Tochter rhetorisch beim Handgelenk:
– Wenn ich’s mir überlege, Sissi, kann ich kein so schlechter Vater sein, bei dem vielen, was ich erzähle.
– Solange du dich selbst reden hörst, bist du glücklich.
Sie sagt es spitz und ohne zu zögern, das Gesicht nach wie vor ohne jeden Ausdruck des Zweifels, daß dies die geeignete Redeweise ist, sich in ihrer Familie zu verständigen.
– Weil aus dir ja nichts rauszukriegen ist, antwortet Peter, weiterhin ruhig: Wenn ich nur Anstalten mache, eine Frage zu stellen, höre ich gleich, ich soll nicht versuchen, dich bis aufs Hemd auszuziehen. Warum? Verstehe ich nicht.
Sie zuckt mit den Achseln und zieht die Brauen hoch, als wolle sie sagen, es sei nicht nötig, alles zu verstehen.
– Dein Bruder ist nicht so geizig mit Auskünften. Dem muß man nicht jedes Wort vom Mund abkaufen.
– Weil er nichts zu erzählen hat.
– Woher willst du das wissen? protestiert Philipp: Natürlich hab ich was zu erzählen.
– Hast du nicht.
– Hab ich doch.
– Lappalien. Einen großen Haufen Nichts.
– Stimmt doch überhaupt nicht.
– Lügen und Angebereien, die du dir aus deinen Abenteuerbüchern zusammenbaust.
– Das stimmt nicht. Ich hab grad soviel zu erzählen wie du.
– Und was? fragt Sissi: Schieß los, sagt sie: Sei kein Spielverderber, fordert sie ihn auf: Na, komm, schieß los, was hast du zu erzählen?
Kurz blickt Philipp zum Fenster raus. Tonlos liest er zwei Ortsnamen von einem Schild herunter:
– Peggau, Deutschfeistritz.
Dann nimmt er das Kirschenpaar herunter, das über seinem linken Ohr hängt, legt es sich in den Mund, zieht die Stengel ab und schiebt sie über den Scheibenrand in den vorbeistreichenden Fahrtwind.
– Na, komm, Philipp, erzähl uns was, sagt Peter.
Ein beleidigter Ausdruck liegt im Gesicht des Buben. Er öffnet den Mund, schließt ihn aber sofort wieder, ohne etwas gesagt zu haben.
– Ich bin schon gespannt, fügt Peter hinzu.
Sehnig und braungebrannt liegen seine Hände eng nebeneinander oben am Lenkrad. Beim Zementwerk in Peggau zieht er den Wagen dynamisch in eine scharfe Linkskurve. Philipp kippt zu Sissi hinüber. Sissi stößt Philipp mit der Handfläche gegen die Schulter, zurück in seine Ecke.
– Bleib auf deiner Seite.
– Was kann ich dafür?
– Dort hast du einen Haltegriff, benutz ihn.
Philipps rechte Hand geht nach oben zu dem kunststoffbezogenen Griff über dem Fenster, die freie Linke legt er sich auf den Bauch, bewegt sie dort ein bißchen hin und her und gähnt nach einiger Zeit. Dann dreht er den Kopf mißmutig zur Seite, eine Strähne auf seinem Scheitel richtet sich in einem Luftwirbel auf. Er betrachtet seinen wenig ausgebildeten rechten Oberarmmuskel, den er in kurzen Abständen anschwellen läßt. Über den Oberam hinweg sieht er auf die sich öffnende und wieder schließende Landschaft und hinter Peggau für kurze Zeit auf den sich langsam bewegenden lautlosen Fluß, ein
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