Es geht uns gut: Roman
nicht, sagt sie mürrisch und zeigt ihm charmant die Zunge.
Bislang will keine Ferienstimmung aufkommen. Dabei ist die Erleichterung darüber, wie die Zeugnisse ausgefallen sind, bei allen groß, auch bei Peter, der angesichts der vielen Schularbeiten, die er nie zum Unterschreiben vorgelegt bekommen hat, unangenehme Überraschungen nicht ausgeschlossen hätte. Sissi hat etliche Dreier im Zeugnis und einen Vierer in Mathe, von dem sie behauptet, daß er vermeidbar gewesen wäre. Sie hat keine Fehlzeiten, geht also gerne zur Schule, sie erweckt sogar den Eindruck, daß ihr die Schule mit ihrer den Tag strukturierenden Wirkung in den Ferien abgeht. Philipp hingegen ist während des halben Schuljahres grün im Gesicht. Er braucht in den Ferien immer einige Tage, bis er sich von den Schrecken des kapitalistischen Leistungssystems (Ausdruck Sissi) erholt hat. Die letzte Schularbeitenrunde hat er komplett verhaut, da ist ihm die Puste ausgegangen, auch, weil Cara, sein Liebling, Anfang Juni eingeschläfert werden mußte. Nicht ganz ohne Einfluß war wohl auch, daß ihn einige Lehrer (Lehrkräfte) auf der Schaufel haben, speziell die Alten, die mit der verschnarchten Art des Buben nicht zurechtkommen. Vor Pfingsten (Peter weiß das um fünf Ecken herum) hat der Geschichtslehrer vor versammelter Klasse Philipps Schultasche ausgeschüttet. In der Tasche soll der Dreck der letzten Jahre sedimentiert gewesen sein: abgebrochene Stifte, Spitzabfälle, Radiergummi- und Papierreste, Büroklammern, massenhaft Brösel inklusive einiger verschimmelter Jausenbrote, die mit den Servietten verwachsen waren. Sehr übelreichend, igitt, kann er sich vorstellen. Wer hat ihm das eigentlich erzählt? Philipp ist auch der einzige in der Klasse, der es glaubwürdig schafft, den Nachmittagsunterricht zu vergessen. Mit dem Fußball unterm Arm klingelt er bei Klassenkollegen, deren Mütter ihn unter vielsagendem Kopfschütteln darauf aufmerksam machen, daß er jetzt besser mit den anderen auf der Schulbank säße. Ja wahrlich, ein kleiner Depp. Er kann einem richtig leid tun. Nicht einmal Peter ist bislang aufgegangen, welche Talente der Rotzfresser mitbringt. Geschickt ist er jedenfalls nicht, es ist unmöglich, ihm beizubringen, wie man auf den Fingern pfeift oder auf einem Grashalm, da tun ihm hinterher nur die Backen weh. Geschäftstüchtig ist er auch nicht. Wenn Peter ihn zum Kutschkaplatz fährt, damit er den Passanten seine Pfadfinderlose andrehen kann, bringt er am Abend alle Lose zurück, legt sie auf den Küchentisch und zieht hilflos die Achseln hoch in der unausgesprochenen Erwartung (Hoffnung?), daß die Heinzelmännchen es für ihn richten werden. Er besitzt keinen Ehrgeiz, weder im Sport noch bei den Mädchen, die interessieren ihn noch gar nicht. Und Mut ist ebenfalls nicht seine Sache. Wahrlich, was für ein Tropf.
– Philipp, weißt du noch, wie du dich im Prater nach der Fahrt auf der Achterbahn übergeben mußtest?
– Ich glaube, ich leide unter Höhenangst.
– Und im Spiegelkabinett? Da hast du dich so über dein Aussehen geschämt, daß du sofort wieder rauswolltest?
– Mir war noch schlecht von vorher.
– Du bist mir eine schöne Flasche von einem Bruder, sagt Sissi.
– So war das jetzt nicht gemeint, wirft Peter ein: Du hast einen ganz großartigen Bruder, Sissi. Du hast allen Grund, stolz auf ihn zu sein.
– Er furzt nur ein bißchen viel.
– Blöde Sau.
– He, dahinten, reißt euch zusammen.
Sie fahren das Mürztal hinunter Richtung Südwesten. Bei der Ortsausfahrt von Mürzhofen, vor einem Maisfeld, das auf der gegen St. Lorenzen liegenden Seite von einem Baumrain gesäumt wird, stehen Kinder am Straßenrand und verkaufen Kirschen. Als Schutz gegen die Sonne haben die Kinder einen alten Regenschirm an einen groben Stecken gebunden und den Stecken in den Boden gerammt, so daß der Schatten über die Steige mit den Kirschen fällt.
Peter hält an, er kauft anderthalb Kilo.
Wieder unterwegs, erlaubt er den Kindern, die Kerne aus dem Fenster zu spucken. Jetzt hört er von der Rückbank, wenn der Fahrtwind einen schlecht gespuckten Kern zurück ins Wageninnere schleudert, sogar Lachen. Furchtbar komisch finden sie das. Er selber schluckt die Kerne. Soll gut für die Verdauung sein, hat es in seiner Kindheit geheißen.
– Mein erstes Auto. Hab ich euch je erzählt –.
– Zehn Mal, Papa.
Peter stockt und stützt für einen Augenblick die Unterarme auf das Lenkrad. Er späht in die
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