Es geht uns gut: Roman
die Mauer zu den Nachbarn.
– Ich bitte dich, Richard, egal, wie Ingrid sich anstellt, vergiß nicht, daß du nur diese eine Tochter hast.
– Ich werd’ mir Mühe geben.
Alma und Richard treten vom Rosenbeet unterhalb der Pergola auf den weitgehend abgetrockneten Vorplatz. Kleine Pfützen blinken als schmutzige Ovale, wo sie vom herbstlichen Sonnenlicht erreicht werden. Peter wendet den Bus und setzt ihn zurück zur Eingangstür, damit die Möbel nicht unnötig geschleppt werden müssen. Ingrid steigt aus, in kniehohen Lederstiefeln, einem kurzen, hellroten Kleid mit Plisseefalten und einer glatten schwarzen Lederjacke. Ihr blondes, sandfarbenes Haar baumelt als Pferdeschwanz. Mit einer Zigarette im Mund hebt sie das Kind von der vorderen Sitzbank, ein Mädchen, das Sissi heißt und das seit dem letzten Mal, als Richard es gesehen hat, ebenfalls blond geworden ist. Es kann seit vier Wochen laufen; das hat Alma bereits angekündigt. Ingrid stellt Sissi ab. Das Kind trippelt im Kreis. Alma umarmt es. Und obwohl das Abgreifen des Kindes und das Begrüßungsgeplapper dem Moment einen fröhlichen Anstrich verleihen, fühlt Richard sich wie in einer Gesellschaft, deren Regeln ihm nicht geläufig sind. Er meint, unter Ingrids Herzlichkeit eine leise Gereiztheit zu spüren, ein Eindruck, den er bestätigt findet, als er sich mit rauher Befangenheit in die Begrüßungszeremonie einschaltet.
Er geht vor seiner Enkelin in die Knie und sagt:
– Bist du aber ein dünnes Kind. Geben dir deine Eltern nichts zu essen?
Indem er es ausspricht, begreift er, daß selbst harmlose Floskeln wie diese verfänglich sind, und so fügt er auflachend hinzu:
– Deine Mutter war auch so. Man erbt nicht nur Möbel.
Ingrid tritt kopfschüttelnd ihre Zigarette aus. Dazu sagt sie:
– Prost!
Nicht mehr, nicht weniger, aber es reicht, daß der gewohnte Abstand zwischen Vater und Tochter auch diesmal hergestellt ist.
Richard streicht dem Kind flüchtig übers flaumige Haar. Er richtet sich wieder auf und sucht Ingrids Blick. Sie schaut ihn unter zusammengezogenen Brauen an. Ihm ist, als wolle sie ihn zu einem weiteren unvorsichtigen Kommentar herausfordern. Bloß weiß er nicht, was es noch groß zu sagen gäbe außer vielleicht, daß es ein Scherz war, der ihm da rausgerutscht ist. Aber selbst das will er zu seiner Entlastung nicht aufbieten. Er hat es satt, sich vor Ingrid ständig rechtfertigen zu müssen.
Er bleibt einige Augenblicke unschlüssig. Alma kommt ihm zu Hilfe und leitet auf das eigentliche Thema des Besuchs über: daß etwas mehr Luft vor allem in den unteren Räumen längst fällig sei. Die meisten Zimmer, sagt sie, ersticken an ihren Möbeln. Im Wohnzimmer sehe es aus wie im Magazin eines Altwarenhändlers.
– Und das ist nicht nur meine Schuld, sagt Richard: Nur damit niemand auf die Idee kommt, es mir vorzuhalten.
In den letzten Kriegswochen, als die Ostfront viel schneller als erwartet näher kam, war eine der drängendsten Fragen, wie man sich vor Plünderungen schützen kann. Mit einem Transport der E-Werke (Richard war wegen seiner kriegswichtigen Position bis zuletzt zurückgestellt) ließ er kleinere Einrichtungsgegenstände, die von bedeutendem Wert waren, in ein Kraftwerk nach Salzburg bringen. Aber der Großteil der Einrichtung blieb zurück. Gemeinsam mit Alma besprach er die Situation. Sie saßen in der Küche, und die Dauer der Unterredung hielt sich nicht nur in Grenzen, weil inmitten der einander überstürzenden Ereignisse noch anderes zu bedenken war, sondern auch aufgrund der Einvernehmlichkeit der letztlich getroffenen Entscheidung. Richard ließ einen Tischler ins Haus kommen, der wegen einiger fehlender Finger von der Wehrmacht als nicht verwendungsfähig eingestuft worden war. Der Mann versah nach Richards Vorschlägen alle größeren Möbel mit Spezialkrampen. Er verleimte, stiftete und schraubte, schliff Schraubenköpfe ab, bis nach zwei Tagen gewährleistet war, daß die Schränke und Betten nur mit größtem Aufwand wieder zerlegbar sein würden. Richard spekulierte auf die Sperrigkeit der Möbel, auf ihr erhebliches Gewicht und auf die Bequemlichkeit der Russen, nicht zuletzt wegen der reichhaltigen Alternativen zum Plündern in der Nachbarschaft.
– Es war deine Idee, sagt Alma.
– Und ich bin heute noch stolz darauf, daß ich dich von ihrer Richtigkeit überzeugt habe.
– Ich weiß nicht.
– Denk an die Nachbarn.
– Ein zweites Mal würde ich es mir trotzdem
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