Es geht uns gut: Roman
dagegen einzuwenden? fragt Ingrid.
– Nein, sagt Richard.
– Dann ist ja recht.
Mit schrägem Oberköper, damit ihre Tochter an der Hüfte Halt findet, macht Ingrid am Absatz kehrt und biegt ins Nähzimmer ein, vom Nähzimmer ins Herrenzimmer, vom Herrenzimmer ins Speisezimmer und von dort in die Veranda. Bei der spanischen Eichentruhe, in der früher Kinderspielzeug deponiert war, hält Ingrid inne und bittet ihre Mutter, die Truhe mitnehmen zu dürfen. Als ob die Truhe Alma gehören würde.
Alma räumt Tischtücher, Servietten, Kerzenständer und Kerzen heraus. Unterdessen stellt Ingrid sich in die Verandatür und fragt, wie gut die einzelnen Bäume in diesem Jahr getragen haben.
– Die Kirschen haben gut angesetzt, die frühe Ernte war köstlich. Aber nach der Regenperiode Ende Juni waren die meisten wurmig. Ein Fressen für die Vögel.
Richard erwähnt die Marillen (Frost während der Blüte), die Erzherzog-Johann-Äpfel (zuverlässig, der Baum in den besten Jahren), die großen Pflaumen (der Baum wird alt). Aber seine Auskünfte scheinen Ingrid nicht zu erreichen. Richard kommt es vor, als sehe seine Tochter da draußen sich selbst laufen.
Er unterbricht sich:
– Vom Zurückschauen bekommt man Heimweh.
Ingrids Antwort trocken, fast gemurmelt im halben Umdrehen, und doch bitter:
– Seit ich hier die Kündigung erhalten habe, hält sich mein Heimweh in Grenzen.
Richard fragt sich, warum er überhaupt noch den Mund aufmacht. Ein normales Gespräch scheint seit Jahren nicht mehr möglich. Jedes Wort ist falsch. Also schade drum. Und was nutzt es, wenn er sich ins Gedächtnis ruft, daß Ingrid ihm, als sie klein war, blind glaubte? Nicht weniger unbegreiflich, daß sie als frischgebackene Gymnasiastin dieses kaum zu stoppende Mitteilungsbedürfnis besaß. Nachdem sie im Garten der Wesselys, wo sie Federball gespielt hatte, zu den Dreharbeiten von Der Hofrat Geiger eingeladen worden war, erzählte sie bis ins letzte Detail, wie man an sie herangetreten sei, und dann gleich noch einmal für den Fall, daß eine Kleinigkeit nicht ausreichend gewürdigt wurde. Auch dies: Vorbei, vorbei, vorbei.
Er sagt:
– Wie wichtig es ist, daß man rechtzeitig aus dem Haus kommt, kann man jetzt überall lesen.
– Dann hast du also auch an meinem Rauswurf eine gute Seite entdeckt.
Vorbei.
– Wenn du es so sehen willst.
– Ich will es so sehen. Ich kann dir auch sagen, warum. Weil du immer im Recht sein mußt, egal wie.
Richard gibt es auf. So vollgestopft und ausgebeult sein Hirn an diesem Tag ist mit Fragen und Attacken der Vergangenheit, er gelangt zu der Erkenntnis, daß es sinnlos ist. Sie reden im Kreis. Es ist schon wahr: Als Ingrid wieder einmal um Mitternacht nach Hause kam und auch noch freche Antworten gab, ist ihm der Kragen geplatzt, und er hat sie eine halbe Stunde lang angeschrien und dann rausgeworfen. Aber nur, weil ihm nichts mehr einfiel auf ihr Schweigen, das mal widerspenstig, mal verächtlich war. Das hat ihn dermaßen auf die Palme gebracht. Außerdem war seine Laune bereits vorher verdorben, eins kommt halt immer zum andern, weil seine Sekretärin schon wieder schwanger war. Aber am nächsten Morgen hat er die Maßnahme zurückgenommen, er ist keiner, der seine Fehler nicht einsieht. Ich bestehe nicht auf dem, was ich gesagt habe. Trotzdem ist Ingrid noch am selben Tag auf und davon, als hätte der Koffer gepackt im Schrank gewartet und nur der geeignete Anlaß gefehlt, ihn hervorzuzerren. Das konnte einen schon stutzig machen. In Richards Augen erweckte das sehr den Verdacht, daß Ingrid das Haus in dem Augenblick verlassen hat, wo sie alle Schuld abschieben konnte und keine eigene Verantwortung übernehmen mußte. Er selbst hatte dann nur mehr die Wahl, entweder seinen Namen in den Dreck gezogen zu sehen und sich nicht drum zu kümmern oder der sofortigen Hochzeit zuzustimmen. Was er dann wohl oder übel gemacht hat. Wenn Ingrid neuerdings eine vereinfachte Auffassung dieser Vorkommnisse vertritt, so bleibt es ihre eigene Wahrheit, die ihr im nachhinein so passen würde, damit sie zu Hause weiterhin zuverlässig ihren Grant abladen kann. Aber was soll’s, warum sich aufregen, warum einen Schlaganfall riskieren. Auch den Kommoden kann man die Beine nicht geradeziehen.
Ingrid wartet mehrere Sekunden. Als sie sicher ist, daß von seiten ihres Vaters nichts mehr kommt, sagt sie:
– Bloß ein Glück, daß ich hin und wieder hier bin, dann sehe ich, daß es nur ein Haus ist,
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