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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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in Mode. Für ihn selbst wird es bis dahin zu spät sein, allerdings. Die Zukunft, das sind seine Luftwurzeln, seine Hansguckindieluftwurzeln, seine Heimatluftwurzeln. Zum nochmaligen Überwintern wie im Krieg, als er sich für ein paar Jahre geduckt hat, ist er zu alt. Entweder er bleibt am Ball oder er kommt nicht wieder. Ende der Fahnenstange, servus.
    Er findet, er hätte sich einen anderen Abschied verdient, und im nachhinein besehen war es ein Fehler, daß er nach der letzten Wahl nicht ins Direktorium der E-Werke zurückgekehrt ist. Aber das ist mittlerweile ein ermüdender, fast schon peinlicher Gedanke, weil in die Vergangenheit gerichtete Spekulationen billig zu haben sind. Entscheidend ist a), daß ihm diese Tür nicht mehr offensteht, weil man ihm b) auch von seiten der E-Werke altersbedingt die Pensionierung nahelegen würde, und c), daß folglich kulturelles Tamtam auf ihn wartet, Gartenarbeit, Zithermusik, Tennisturniere und die Mitgliedschaft im Beschaffungsausschuß diverser Bälle samt Ehrenschutz und Eröffnungswalzer mit einer Frau, die kurz nach Mitternacht zum Aufbruch drängt. Nein danke. Wenn er sich die Details ausmalt, wird ihm schlecht, richtig schlecht, da rumort etwas in seiner Magengrube. Er will diese Kröte nicht schlucken. Er hat für die Arbeit gelebt, Wochen ohne Sonn- und Feiertage, in denen er politisch für das Privatleben der Leute eintrat, während sich bei ihm zu Hause die Niederlagen summierten mit dem Effekt, daß er sich weiter in Richtung Ministerium zurückzog. Dort hat er seit 1948 alles im Rahmen seiner Möglichkeiten gemeistert. Noch in diesem Jahr wird die letzte Gaslaterne in Wien erlöschen, nahezu wöchentlich weiht irgendwo ein Pfarrer ein Transformatorenhäuschen ein. Er, Dr. Richard Sterk, Der Römer , hat Turbinenhallen bauen lassen groß wie Opernhäuser. Er hat mitgeholfen, den Platz zu schaffen, den der Wohlstand benötigt, um sich auszubreiten. Und jetzt? Jetzt wollen sie ihn kopfüber nach Hause werfen.
    Dr. Gorbach sagte im Café Dommayer:
    – Dann hast du Zeit für all das, was du dir immer vorgenommen hast.
    Richard faßt es nicht.
    – Den Spruch werde ich mir rahmen lassen, gab er zur Antwort.
    Ja? Ja? Wie bitte? Soll er jetzt den einsamen Mann spielen? Soll er wie Alma ein Buch ums andere lesen, um klüger zu werden, aber ohne die Möglichkeit, die neue Klugheit noch anwenden zu können? Es mutet ihn an wie Hohn. Denn es stimmt, daß er Zeit braucht. Aber Zeit in einem völlig anderen Sinn, Zeit als Frist, Zeit zur Vorbereitung auf die sich ändernde Situation, die in erster Linie von einem bedrohlichen Überfluß geprägt sein wird. Richard hat sich nichts immer vorgenommen . Er hat geglaubt, daß seine eigene Zukunft eng genug mit der Zukunft der Republik verknüpft sein wird und daß sich daraus ganz von selbst Effekte auch für ihn ergeben werden. Ein fundamentaler Irrtum, wie ihm jetzt aufgeht. Vaterland gerettet, doch das gilt nicht für ihn. Er, der den Staatsvertrag mit ausverhandelt hat, aber auf den wichtigen Fotos fehlt. Pech gehabt. War lange genug ein hohes Tier. Soll zusehen, wie er zurechtkommt. Du bist erwachsen, Dr. Sterk, na los. Stimmt, ich bin erwachsen. Hab ich das nötig, mich so behandeln zu lassen. Die können mir mal alle den Buckel. Und Hut drauf.
    Richard legt ächzend den Kopf an den hinteren Rand der Wanne, das kühlt seinen Nacken und gibt ihm das Gefühl, alles sei halb so schlimm. Er starrt hinauf zur Decke und spürt, wie sein ganzer Körper schlaff wird. Geistig hingegen fühlt er sich nach all den Aufregungen sehr konzentriert, sehr hell, was in letzter Zeit selten genug vorkommt. Wahrscheinlich, weil er ständig überarbeitet ist.
    Vielleicht sollte er einfach versuchen, das Beste daraus zu machen, und die naturwissenschaftlichen Interessen, die er als junger Mensch hatte, wieder mehr pflegen. Die perfide Mischung aus Ehrenämtern und nichts als Privatleben ließe sich mit etwas trockener Materie vielleicht entschärfen. Zum Beispiel könnte er endlich der Frage nachgehen, ob bereits jemand herausgefunden hat, warum Wasser zuweilen vergißt zu gefrieren. Er hat in der Schule davon gehört, das Phänomen ist ihm nie ganz aus dem Sinn gegangen. Damals hieß es, der vergessene Vorgang werde bei der geringsten Erschütterung nachgeholt, und zwar innerhalb von Sekundenbruchteilen. Das imponierte ihm. Wäre interessant zu wissen, woran das liegt. Das heißt, eigentlich ist es ihm egal, mal abgesehen davon, daß darin

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