Es geht uns gut: Roman
nach sich zog, war trotz Kriegslärm bis nach Wien zu hören. Bei Richards Ankunft, das wird er so schnell nicht vergessen, warf sich ihm ein todunglückliches Mädchen in die Arme, blieb den ganzen Tag an seinen Hals geklammert, pendelte zwischen Weinen und Benommenheit und dem hochheiligen Versprechen, in Zukunft bestimmt das Hirn einzuschalten, bevor sie etwas sagt . Verschreckt, eingeschüchtert und wie blöde davon. So kannte er Ingrid gar nicht. Das heulende Elend. Er ließ sie reden auf der Aussichtsbank mit Blick auf den Mondsee, die Berge und Wolken spiegelten sich darin. Zwischendurch Heulen: Papa, das wird mir eine Lehre sein, das schwör ich. Jaja, das sollte es, Kindchen, wirst sehen, dann renkt es sich wieder ein. Oder sonstwas an Allerweltsweisheit. Da redet man stundenlang vor dem Nationalrat, und wenn die Tochter Kummer hat, fällt einem nichts ein.
Er muß sagen, der Krieg war auch für Kinder eine miserable Zeit, sogar im Sommer am Mondsee, speziell wenn ein Kind das Pech hatte, daß die Eltern in Opposition zur herrschenden Meinung standen. Da halfen keine Wassertemperaturen und kein Paddeln und Blumenrupfen. Wenn Richard es in diesem Licht besieht, haben die Konflikte mit Ingrid schon damals begonnen. Daß das Mädchen die ganze Härte der seinerzeitigen Erziehungsmethoden zu spüren bekam, hatte bestimmt damit zu tun, daß sie die Tochter eines politisch unzuverlässigen Vaters war. Sie selbst wird es vermutlich so empfunden haben, nachdem Richard bei seinem Besuch keinerlei Abmilderung der Strafmaßnahmen hatte erwirken können. Damit das Mädel weiß, was sich gehört. Auch Ottos Kriegsbegeisterung ließe sich vor diesem Hintergrund besser erklären, eine Kompensation der Irrtümer seines Vaters. Daß Richard das nicht früher in den Sinn gekommen ist. Wo es so naheliegend ist. Jawohl, das hat er davon, daß ihm die Nazis nicht paßten. Spannungen seit eh und je, unverändert bis zum heutigen Tag, obwohl ein Antifaschist zum Familiensilber gehört, ein mittlerweile beliebig oft teilbares Erbe für Kinder und Enkel, das man nicht hoch genug einschätzen kann.
Und was, bitte, lehrt uns diese Erfahrung? Wo bleibt der Dank? Ja? Wo? Wo bleibt der? Bitte? Wo bleibt der.
Richard steht in der Wanne auf und duscht sich ab, mit einer gewissen Genugtuung, daß er gerade eine weitere Ungerechtigkeit in seinem Leben ausgemacht hat.
Im Jemen, heißt es, bilden die Rebellen eine Regierung. Die Beduinen drohen mit Bürgerkrieg. Der Tod des Imam in den Flammen des Königspalastes wird bestätigt. Die harten Männer in Chinas KP rücken vor. Boykott gegen Negerstudenten löst Staatskonflikt in den USA aus. Und Piccioni? Behauptet vor den UN: Südtirol sei ein juridisches Problem, und wie schon Kreisky kündigt er die Fortsetzung der bilateralen Verhandlungen für den Herbst an. Über 800 Tote bei Hochwasserkatastrophe in Spanien. General Franco sieht Spaniens Zukunft in einer sozialen Monarchie. SPÖ für Änderung der Verfassung. Vizekanzler Pittermann läßt in einer Rede bei der Eröffnung des SPÖ-Wahlkampfes aufhorchen, indem er für eine Legalisierung des Proporzes eintritt zur Sicherung der Zusammenarbeit zwischen den großen Parteien. ÖVP beginnt den Wahlkampf am 1. Oktober mit der Veröffentlichung eines Wahlaufrufes. Eine Woche später wird die Volkspartei ihr Wahlprogramm bekannt geben und eine Eröffnungskundgebung im Wiener Konzerthaus abhalten. Außer den üblichen Wahlversammlungen wird die Volkspartei im Laufe der Wahlkampagne in ganz Österreich rund 500 »Jugendparlamente« und ebenso viele »Teenager-Parties« abhalten. Zu den Werbemitteln der Volkspartei gehört eine Schallplatte mit Dixieland-Musik, gespielt von der Band eines Ottakringer Jugendclubs, die lediglich durch den Werbetext »Frohe Stunden mit Musik – Frohe Zukunft mit der Volkspartei« unterbrochen wird. Das Wetter in weiterer Folge: Mild, aber etwas unbeständig. Gelegentliche Regenfälle ohne größere Ergiebigkeit. In den Mittags- und Nachmittagsstunden werden sonnige Abschnitte überwiegen.
Als der ockerfarbene Kleinbus, den Peter sich ausgeborgt hat, hupend in die Einfahrt biegt, ist es kurz nach vier und das Wetter wieder schön. Wenn die Sonne sich in kargen Wolkenfetzen verpackt, ist sie verwaschen milchig, einmal für einen Augenblick gelb wie ein Butterbrot. Dazu Wind, der in den höheren Regionen stärker weht als dort, wo Alma und Richard stehen. Der Wind schleift Wolkenschatten durch den Garten und über
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