Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
und jener, der irgendwann irgendetwas gesehen hat. Vielleicht hat Herr Kräfting wirklich irgendwann irgendwo gesehen, dass ein Kind ins Haus gezogen worden ist. Das geschieht schließlich jeden Tag ein paarmal in der Stadt. Bei uns hätte es am Peter-und-Pauls-Tag besondere Bedeutung gehabt. ›War es nicht in der Mühlenstraße? Ja, doch. Da war es. Und natürlich, es war ja am Feiertag, als ich aus dem Gasthaus kam. Damals habe ich nicht darauf geachtet. Denn wer behält das schon, wenn er sieht, wie ein Kind ins Haus gezogen wird. Oder war es doch an dem Tage vor Peter und Paul, an dem Sonntag? Nein, das kann nur bei Waldhoff gewesen sein. Der muss es ja gewesen sein. Wie sollte das Kind sonst umgekommen sein …?‹
Siehst du, so geht das. Der Mann wartet noch ein, zwei Tage, aber schließlich quält ihn das, was ihm eingefallen ist, so sehr, dass er es beim Bürgermeister meldet. Die Aussage passt. Ja, man hat sie erwartet.« Waldhoff hatte sich in Hitze geredet.
»Aber ein Haus, das auf Lügen gebaut ist, muss doch eines Tages zusammenfallen, Vater. Das sagt jedenfalls unser Lehrer.«
»Vielleicht, Junge. Hoffentlich ersticken wir nicht unter den Trümmern.«
Sie schwiegen. Sigi fühlte die Hand des Vaters auf seiner Schulter. Sie bogen von der Landstraße in den Bauernweg zum Blümerhof ein.
»Lass den Kopf nicht hängen, Sigi. Jeder kann ohne eigene Schuld in den Schlamm gestoßen werden. Aber hinaus müssen wir. Das kostet Kraft und braucht Mut.«
»Ja, Vater.«
»Und der da oben lebt«, Waldhoff reckte seinen Knotenstock in den Himmel, »der schläft nicht.«
Der Hund schlug an. Die Magd schleppte volle Kannen aus der Milchkammer. Ein Gruß wurde gewechselt.
»Der Bauer ist beim Vieh.«
»He, Blümer, wo steckst du?«, rief Waldhoff in den dämmrigen Stall hinein.
Aus den Schweinegattern quietschte und kreischte es. Die Pferde stampften in ihren Boxen. Die Kuhställe waren fast leer. Die Kühe blieben Tag und Nacht auf der Weide. Ein paar Kälber reckten ihre Hälse und hoben die rosigen Schnauzen über den Verschlag. Ein Rind stand angekettet. Waldhoff ging darauf zu. Er schmunzelte. Sigi betrachtete das Tier. Gerade war der Rücken, glatt und wie gestriegelt glänzte das gescheckte Fell. Gutes Vieh hatte er, der Blümer. Der Vater handelte gern mit ihm.
Da trat der Bauer ins Licht.
»Ich habe schon auf dich gewartet. Da ist das Tier.«
Waldhoff strich über das Fell, betastete den Nacken, die Lenden. Unter seiner Hand zuckte das Rind. Schließlich nannte er einen Preis. Der Bauer forderte zehn Taler mehr. Eine Weile feilschten sie und schlugen sich gegenseitig auf die ausgestreckte Hand. Endlich aber fasste der Bauer die Hand des Viehhändlers. Er schlug ein. Der Kauf war besiegelt. Sigi wunderte sich, wie schnell es heute zur Einigung gekommen war. Sonst dauerte das Hin und Her oft über eine Stunde. Vater nahm den Lederbeutel aus der Tasche und zahlte dem Bauern die Gold- und Silberstücke in die Hand.
Er löste die Kette und reichte Sigi den kurzen Strick. »Ich brauche in vierzehn Tagen wieder ein Rind, Blümer.«
Der Bauer tätschelte dem Tier den Rücken.
»Tja, Waldhoff, das ist wohl nicht mehr zu machen.«
»Was heißt das, Blümer? Du wirst doch Rinder verkaufen?«
»Das wohl, Waldhoff. Aber, versteh mich recht, an dich kann ich nicht mehr verkaufen.«
»An mich nicht?«
»Nein, Waldhoff. Die Nachbarn reden schon, weil ich oft mit dir Geschäfte mache.«
»Ist mein Geld nicht gut? Habe ich dich jemals betrogen?«
»Das hättest du versuchen sollen!«, lachte der Bauer. »Nein, trotzdem nicht. Weißt du, wenn einer die Pest hat, dann soll man sich nicht mit ihm sehen lassen.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, was es heißt. Kurzum, ich will nicht, dass die andern am Sonntag im ›Goldenen Apfel‹ von mir abrücken und durch mich hindurchsehen, als wäre ich Luft. Gestern habe ich das schon zu spüren bekommen. Ein paar hingeworfene Bemerkungen, ein Schnaps, den ich dem Gestnerbauern bezahlt habe und den er – ganz zufällig, verstehst du – vergessen hat auszutrinken. Das will ich mir nicht leisten.«
»Aber du kennst mich doch jahrelang, Blümer. Ich bin doch schon mit meinem Vater hierher auf den Hof gekommen, um Vieh zu kaufen.«
»Das weiß ich alles genau wie du. Aber du musst einsehen, dass ich nicht gegen den Strom schwimmen kann.«
»Natürlich nicht«, sagte Waldhoff bitter. »Wer wird sich schon wegen eines Juden in die Nesseln setzen.«
»Ich jedenfalls
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