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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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langsamer ging. Leute kamen ihnen entgegen.
    Sie schritten ganz dicht nebeneinander. Ihre Schultern, ihre Hüften berührten sich. Er fasste ihre Hand fest. Es sauste ihr ein wenig in den Ohren.
    Vom schnellen Laufen, dachte sie, doch sie wusste, dass es etwas anderes war. Nur fürchtete sie, es sich einzugestehen, denn wie leicht ist der flüchtige Vogel Glück fortgeflogen.
    Als sie in die Mühlenstraße einbogen, flatterte er schon davon. Frau Märzenich band den schwarzen Trauerflor an die Haustür. Gerd stürzte vorwärts, als wolle er noch erreichen, was kein Mensch mehr einzufangen vermag.
    Ruth überwand die Scheu davor, ein Haus zu betreten, in dem ein Toter lag. Sie wollte Gerd nicht allein lassen. Doch Frau Märzenich verwehrte ihr die Tür.
    »Hast du ihm schon die letzte Stunde seines Vaters gestohlen, dann lass ihn wenigstens jetzt«, zischte sie ihr entgegen.
    Ruth konnte ihrem kalten Blick nicht widerstehen. Sie floh nach Haus. Im hinteren Wohnzimmer brannte noch Licht. Der Schimmer fiel unter der Türritze hindurch. Sie steckte den Kopf ins Zimmer, sagte: »Gute Nacht!«, und wollte in die Kammer huschen.
    »Komm herein, Tochter«, befahl die Mutter. Ihre Stimme klang erstickt, traurig.
    Da sah Ruth ihn. Er lag auf dem Boden, die Glieder weit von sich gestreckt. »Was ist mit Vater, Mutter, was ist?«
    »Komm, hilf mir, wir wollen ihn auf die Bank legen. Er ist schwer. Ich schaffe es nicht allein.«
    Ruth beugte sich über den Vater. Sein Mund stand offen. Der Atem kam stoßweise aus seiner Brust. Sie fuhr zurück. Er war betrunken, sinnlos betrunken. Ruth schaute Mutter an und fragte nichts mehr. Sie schleppten den schlaffen Körper auf die Bank. Mutter deckte ihn sorgsam mit der schweren braunen Decke zu.
    In diesen Minuten hasste Ruth ihren Vater. Ein Metzger. Ein Säufer. Er schafft es nicht, unser Haus zu schützen, dachte sie.
    »Sie hetzen ihn«, sagte Mutter leise, als ob sie die Gedanken der Tochter lesen könne. »Er macht so vieles falsch in diesen Tagen, weil sie ihn hetzen. Vor einer Stunde haben Deichsels ein Lämmchen zurückgeschickt. Es war nicht richtig geschlachtet. Seine Hand war früher so sicher. Er hat es falsch geschlachtet. Es war nicht richtig ausgeblutet. Er macht so vieles falsch.«
    »Warum, Mutter, bin gerade ich eine Jüdin?«
    Die Mutter hätte viele Antworten geben können, aber sie wusste auch, dass es für Ruth keine gute Antwort gab in dieser Stunde. Deshalb schwieg sie und begnügte sich damit, dem Mädchen das Haar behutsam aus dem Gesicht zu streichen.

10
    Darf ich in der Nacht mit zum Schapendyck?«, fragte Sigi. »Karl und Herr Ulpius wollen Aale fangen.«
    Die Mutter blickte zu ihm herüber, doch schien es dem Jungen, als sehe sie durch ihn hindurch. Ganz allmählich nur löste sich der Bann aus ihren Augen. Sigis Frage war längst verklungen, als sie schließlich in das Bewusstsein der Mutter drang. Doch noch bevor sie sich vergewisserte, ob er auch seine Arbeiten verrichtet habe, kannte er bereits ihre Antwort. Nichts schlug sie ihm in diesen Tagen ab. Ihre Nachgiebigkeit machte Sigi unsicher.
    »Geh nur, Sigi, geh. Aber denk an die Decke. Die Nächte haben kalte Morgen.«
    »Ja, Mutter.«
    Er betrat die Werkstatt. Auf den Haken an der Längswand dicht unter der Decke lagen die Ruten. Er wählte die längsten aus und überprüfte Schnüre und Schwimmer. Ein Dutzend mittelgroße Haken spießte er in einen Flaschenkorken und griff nach dem fein geflochtenen Weidenkorb. Der war groß und bauchig. Es heißt von solchen Körben, dass jeder Fischer in zehn Jahren nur einmal das Glück hat, ihn über die Hälfte zu füllen. Trotzdem nahm Sigi ihn stets mit, wenn er zum Aalfang ging. »Man kann nie wissen«, sagte er, wenn Herr Ulpius ihn neckte. Auch sein Messer vergaß er nicht. Das Klappmesser mit echten Hirschhorngriffen hatte Onkel Mendel ihm geschenkt. Von allen Jungen aus der Klasse wurde er um dieses Messer beneidet.
    Griffbereit stand bald seine ganze Ausrüstung für die Nacht fertig. Mutter hatte ihm einige gelbe Äpfel zugesteckt. Das wunderte ihn. Zwar mochte er gerade diese Apfelsorte besonders gern, aber in anderen Jahren durfte der Vorrat nicht vor dem ersten Schnee angeknabbert werden.
    Mit seinen Gedanken bereits am Wasser, saß er beim Abendbrot.
    »Pass auf dich auf«, sagte Mutter, als er sich erhob.
    »Ja, Mutter.«
    Sie half ihm, den Rucksack zu schultern, und reichte ihm den Korb.
    »Danke, Mutter«, sagte er, als er das Haus verließ. Es

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