Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
helfen. Ich habe ihn gelesen. Auch einen verrückten Vetter der Frau Seller hat er in den Kreis der Verdächtigen einbezogen, weil der schon öfter Drohungen gegen Sellers ausgestoßen hat. Viele Spuren, Waldhoff. Man sagt vom Kommissar Hundt, er habe eine feine Witterung für heiße Spuren.«
»Hoffentlich nützt die ganze Mühe etwas.« Zweifel lag in Waldhoffs Stimme.
Nach einer Weile fuhr er fort: »Ich habe, offen gestanden, daran gedacht, aus der Stadt wegzuziehen. Heute habe ich hier mit Verwandten geredet. Die wollen uns ein paar Zimmer überlassen.«
»Sieht das nicht wie Flucht aus, Waldhoff?«, fragte Herr Pfingsten.
»Es ist auch eine, Herr Pfingsten. Ich halte das alles nicht aus. Meine Familie geht vor die Hunde. Keiner kann mehr mit uns sprechen, oder es geschieht ihm Böses. Gerd Märzenich, unser Nachbar, hat keinen einzigen Auftrag mehr in seiner Kupferschmiede, nur weil er aussagt, was er weiß, nämlich dass er in der Zeit, als der Mord geschehen sein muss, mit mir zusammen in unserem Wohnzimmer gesessen hat. Keinen einzigen Auftrag mehr, Herr Pfingsten!«
»Das wollten die Juden heute durch ihre Plakate mit gleicher Münze heimzahlen«, sagte Carlos. Es klang, als ob er ganz damit einverstanden sei, dass die Juden sich wehrten.
»Junge, Zahn um Zahn, das ist eine Sache. Den Kopf kühl behalten und den Verstand gebrauchen, das ist eine andere. Wohin soll uns das führen? Wenn Menschen immer mit gleicher Münze heimzahlen, dann haben wir die Hölle auf Erden.«
»Aber sollen wir denn nur immer stillhalten, den Rücken beugen und uns alles bieten lassen?«, empörte sich Carlos.
»Das Recht, Junge, das Recht und die Wahrheit, die setzen sich durch. Aber Geduld braucht man, um Recht und Wahrheit mit reinen Händen empfangen zu können.«
»Warten. Immer warten! Jahrhundertelang warten wir schon.«
»Du vergisst, Junge, dass vom Beginn dieses Jahrhunderts an den Juden das Recht nicht verwehrt wird.«
»Wie man hier sieht. So hat sich Hardenberg die Gleichheitsgesetze bestimmt nicht gedacht«, antwortete Carlos bitter. Er kletterte wieder zu Sigi hinauf.
»Wir müssten aus diesem Land hinaus«, flüsterte er Sigi zu. »Ein eigenes Land sollten wir bauen, ein neues Zion.« Sigi wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er hatte die Stadt gern. Sein Freund lebte hier. Er fühlte sich zu Hause am Strom, im Schatten der Großen Kirche.
»Was willst du werden, wenn du aus der Schule kommst?«
»Steinmetz.«
»Gut. Sehr gut. Steinmetze werden wir brauchen.« Carlos nahm Sigi die Zügel wieder aus der Hand, als sie sich den Häusern näherten.
Die Waldhoffs bedankten sich für die bequeme Fahrt und liefen das letzte Wegstück bis in die Mühlenstraße. Der Vater schien zuversichtlicher, seit er sicher war, dass in Neuß ein Notquartier für sie bereitstand. Frau Waldhoff sah sie kommen und schüttete Kaffee auf. Noch während Waldhoff berichtete, klingelte die Ladenschelle. Ruth kam in die Küche und sagte: »Da ist ein Herr. Er will euch sprechen.«
»Führe ihn ins Wohnzimmer«, befahl Waldhoff und wunderte sich. Sie gingen hinüber. Vor dem Fenster stand ein schmaler, hohlwangiger Mann. Sein Anzug war ein wenig salopp. Er trug eine randlose Brille. »Darf ich mich vorstellen?«, fragte er höflich, verbeugte sich und sagte: »Hundt. Ich bin der Kriminalkommissar, den der Minister schickt. Aus Berlin komme ich.« Er reichte Waldhoff die Hand und begrüßte auch Frau Waldhoff, Ruth und Sigi. »Kakabe«, murmelte Sigi.
»Herr Waldhoff, die Leute hier scheinen das Urteil nach allem, was ich bisher hörte, bereits gefällt zu haben. Verlassen Sie sich darauf, dass ich diese Angelegenheit in allen Einzelheiten untersuche.«
»Bitte, setzen Sie sich.«
»Nein danke. Ich darf Sie morgen um zehn Uhr ins Amtsgericht bitten, damit Sie mir noch einmal alles genau berichten können.«
»Ich kenne den Weg bereits.«
»Allerdings. Allerdings. Noch eins, übrigens: Erschrecken Sie bitte nicht, wenn gleich drei Beamte hier aufkreuzen, die eine Haussuchung vornehmen. Es muss sein, wissen Sie.«
»Sie werden mir doch nicht das ganze Haus auf den Kopf stellen?«, fragte Frau Waldhoff ängstlich.
»Ich habe die Leute angewiesen, sorgfältig vorzugehen«, beruhigte der Kriminalkommissar sie.
»Was suchen Sie denn, Herr Kommissar? Was wollen Sie finden in diesem Haus?«
»Nichts Bestimmtes, Frau Waldhoff. Machen Sie sich keine überflüssigen Sorgen. Wenn Ihr Mann unschuldig ist – und für mich
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