Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
Vom Netzwerk:
sagte scharf: »Verschwinde, Judengör, verschwinde schnell! Sonst machen wir dir Beine.«
    Sigi lief davon. Wollten ihn denn alle verlassen? Stießen sie ihn alle herum? Er würde sich das nicht gefallen lassen. Sie sollten schon sehen! Er gab nicht klein bei wie der Vater. Er wollte es ihnen schon zeigen.
    Zwei kleine Jungen standen auf der anderen Seite auf dem Bürgersteig vor Pfingstens Laden.
    »Guck mal da, Ditz«, rief der eine, »da rennt der aus dem Mörderhaus.«
    Sigi überquerte die Straße. Wut machte ihn blind. Er stürzte sich auf den kleinen Jungen, der ihm erschrocken und starr entgegensah. Blitzschnell trafen den Kleinen die Fäuste gegen die Brust, auf den Rücken.
    Er schrie laut, aber Sigi schlug weiter auf ihn ein.
    »Er macht ihn tot! Er macht ihn tot!«, schrillte die Stimme des anderen.
    Da riss eine Frau Sigi zurück. Seine Wut war mit einem Male verraucht. Der kleine Junge lief heulend davon. Schlaff hing Sigi in den Händen der Frau. Sie schüttelte ihn hin und her und schrie auf ihn ein. Eine Ohrfeige traf ihn. Doch selbst den Schmerz fühlte er nur wie durch eine Wand von Watte. Menschen hatten sich angesammelt.
    Die Frau ließ ihn plötzlich los. Sigi taumelte gegen das Schaufenster.
    »Wenn ich ihn nicht weggerissen hätte, ich glaube, er hätte das kleine Kind totgeschlagen.« Ein Mann stellte sich vor Sigi: »Das mach mir nicht noch einmal, Bürschchen!« Er packte Sigi vorn an der Jacke und zog ihn dicht zu sich heran. »Rühre mir nicht noch einmal ein Kind aus der Stadt an, du Miststück.«
    Die Ladentür öffnete sich. Herr Pfingsten trat heraus.
    »Was gibt es, Leute?«
    »Er hat ein Kind totschlagen wollen.«
    »Er hat sich auf einen kleinen Jungen gestürzt«, sagte der Mann und ließ Sigi wieder frei.
    Herr Pfingsten wandte sich an Sigi: »Was hat er dir getan?«
    Da heulte Sigi los, klammerte sich an Herrn Pfingsten und verbarg sein Gesicht in dessen Rock.
    »Ja, jetzt kann er heulen«, schimpfte der Mann.
    »Ich werde mir Sigi vorknöpfen«, versprach Herr Pfingsten und schob den Jungen in den Laden.
    Die Leute zerstreuten sich erst nach einer ganzen Weile. Hinter dem Laden befand sich ein schmales Büro. Dort hatte Herr Pfingsten Sigi in einen Sessel gedrückt. Er selbst rückte sich einen Stuhl heran.
    Er ließ dem Jungen Zeit. Schließlich sagte Sigi: »Ich lasse mir nicht alles gefallen. Alle hacken sie auf mir herum. Alle schimpfen sie. Der Kleine auch. Ich habe es gehört. ›Der kommt aus dem Mörderhaus!‹, hat er über die Straße gerufen. Ich lasse mir nicht alles gefallen.«
    »Niemand braucht alles einzustecken. Aber der Kleine tut mir leid. Du hast es ihm arg gegeben, nicht?«
    »Ja, ich habe es ihm gegeben.«
    »Ob er es wohl verdient hat, Sigi?«
    »Er hat mich beschimpft! Alle sind gegen mich.«
    Die Ladenschelle rief Herrn Pfingsten ins Geschäft. Doch bevor er sich erhob, sagte er: »Es gibt ein Sprichwort, Sigi. Denk einmal darüber nach: Den Esel meint man, und den Sack schlägt man.«
    »Blödes Sprichwort«, knurrte Sigi. Doch zugleich wurde ihm klar, wie gut es passte. Trotzdem wiederholte er trotzig: »Blödes Sprichwort.«
    Er beruhigte sich allmählich wieder. Der Sessel war schön weich. Er versank fast ganz darin. Vom Rücken und von den Seiten schloss er ihn warm ein. »Ob sie mir wohl etwas tun, wenn ich gleich nach Hause gehe?«
    Er hörte die Ladentür. Bald darauf knarrten die drei Stufen, die in das Büro führten. Herr Pfingsten kam zurück. »Na, mein Junge, es stimmt doch, was das Wort sagt, oder?« Sigi zuckte die Achseln.
    »Du musst jetzt nach Hause gehen, Sigi. Aber eins will ich dir noch mit auf den Weg geben: Immer dann, wenn der Verstand zu kurz ist, dann schlägt die Faust zu.«
    Er fasste Sigi unters Kinn. Sigis Augen wanderten allmählich über Herrn Pfingstens Bauch, die breite rote Krawatte empor, verharrten ein wenig auf den drei Stufen des Doppelkinns und trafen dann die Augen des Mannes, dunkle Spiegel in einem Kranz von Fältchen. »Du solltest dich auf die Seite des Verstandes stellen, Junge. Fäuste können vielleicht stumm machen und überwältigen. Aber der Verstand überzeugt!«
    In Pfingstens Augen brannte eine Flamme. Sigi musste den Blick senken. »Ja, Herr Pfingsten.«
    »So, dann lauf. Hör nicht auf dumme Reden. Dann verstummen sie am schnellsten.«
    »Ja, Herr Pfingsten.«
    Auf der Straße beachtete ihn niemand. Zwar blickte er sich mehrmals um, doch keiner verfolgte ihn. Vater war noch nicht zu Hause. Sie

Weitere Kostenlose Bücher