Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
geschehe.»
Sie kamen auf der Route, die sich Johanna Hagenhausen ausgedacht hatte, tatsächlich ohne jeden Zwischenfall voran. Die Straßen waren zum Teil wie leergefegt. Alles, was laufen konnte und den Drang verspürte, es denen da oben endlich einmal heimzuzahlen, war in die Rostocker und die Sickingenstraße geeilt, um beim großen Spektakel dabei zu sein. Und die Ängstlichen hatten sich verkrochen.
In der Wiclefstraße kamen sie an einen großen Kohlenplatz, auf dem alles ruhig zu sein schien. Das Tor stand weit offen, aber niemand war zu sehen, kein Arbeiter, kein Streikposten, kein Händler.
«Gottfried Kockanz», las Magnus Hagenhausen auf dem großen Schild über der Toreinfahrt. «Der wird doch nicht selber streiken. ..»
Er brach ab, denn in diesem Moment kam ein dunkel gekleideter Mann aus dem Kontor gestürzt, eine hell lodernde Fackel in der Hand. Die hielt er auch noch fest, als er an der Schwelle hängenblieb und lang hinschlug. Aber er rappelte sich wieder auf und schleuderte die Fackel durch ein offenstehendes Fenster in die Baracke, während er gleichzeitig einen Haken schlug und in Richtung Waldenserstraße davonlief. Als er über den Bretterzaun setzte, brach der krachend in sich zusammen. Doch das konnte ihn nicht aufhalten.
Beherzt stürzte Johanna Hagenhausen zur Baracke, um zu retten, was zu retten war, während ihr Mann, der einen Schlauch gesehen hatte, nach dem Wasserhahn suchte, um das Feuer zu löschen.
«Schnell!», rief seine Frau, als sie einen Blick durch das Fenster geworfen hatte. «Da liegt noch einer drin.»
Jetzt endlich streifte Magnus Hagenhausen den schweren Rucksack von den Schultern, um besser rennen zu können. Doch es nützte nichts mehr. Kaum hatte er die Tür zum Kontor erreicht, flog die ganze hölzerne Baracke förmlich in die Luft. Einige Pakete eines patentierten Kohlenanzünders hatten Feuer gefangen. Der Druck war so groß, dass sie zu Boden geschleudert wurden. Sie konnten sich eben noch aufrappeln, ehe die Glut unerträglich wurde.
«Hol die Feuerwehr!», rief Johanna Hagenhausen.
«Der ist doch sowieso schon hin.» Er meinte den Mann, der leblos in der Baracke gelegen hatte.
«Trotzdem. Ehe die Häuser ringsum. ..»
Magnus Hagenhausen setzte sich, bedingt durch das lange Hocken im Führerstand, so langsam in Bewegung, dass seine Frau selber in die andere Richtung losrannte. Das Telefon gab es schon seit dreißig Jahren in Berlin, aber einen Apparat hatten nur wenige Bürger, zumeist Geschäftsleute. So suchten sie eine Destille oder einen anderen Laden mit Telefon.
Hermann Kappe war so verliebt, dass er fast das Fenster aufgerissen und sein Glück mit einer Arie in die Welt hinausposaunt hätte. Klara hatte zugesagt, Klara wollte mit ihm und seinem Freund Lubosch den Ausflug nach Wendisch Rietz machen, Klara hatte ihn angelächelt.
Als der Freund kam, um ihn zu einer abendlichen Unternehmung abzuholen, fiel Kappe ihm um den Hals. «Du, Liepe, ich bin total verschossen.»
Gottlieb Lubosch wich zurück. «Doch nicht etwa in mich?!»
«Nein, in die Klara.»
«Was denn, die Tochter vom Holzarbeiter Göritz hinten am Glubigsee?»
«Genau die.»
Lubosch lachte. «Der war doch noch hässlicher als der Glöckner von Notre Dame.»
«Dafür ist sie schöner als die Kameliendame.»
«Dann pass bloß auf, dass ich sie dir nicht wegschnappe.»
Kappe schluckte. Er wusste, dass nicht nur beim Geld, sondern auch bei der Liebe die Freundschaft schnell aufhörte - und sein Freund war einer, den sie in den Romanen einen «Damenmann» nannten, einen, für den die Frauen alles stehen und liegen ließen, um mit ihm durchzubrennen.
Gottlieb Lubosch, Kellner von Beruf und von allen Liepe gerufen, war Kappes ältester Freund. Die beiden kannten sich, solange sie zurückdenken konnten, und waren wie Zwillinge aufgewachsen. Schon ihre Mütter hatten als Kinder miteinander gespielt, und die Väter fuhren gemeinsam zum Fischen auf den See hinaus. Zusammen mit Liepe hatte Hermann Kappe in Wendisch Rietz die Schulbank gedrückt und in Berlin sein Dienstjahr beim Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiment absolviert. Als Bursche eines feinsinnigen Offiziers hatte Lubosch seine Liebe zum Dienen und Servieren entdeckt und beschlossen, Kellner zu werden, «Herr Ober». Es war sein großes Ziel, einmal im Adlon zu arbeiten und dabei so viel zu verdienen, dass es reichte, um sich im reiferen Alter in seiner alten Heimat ein eigenes Restaurant oder gar ein kleines Hotel kaufen zu
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