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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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obwohl Ihre Kollegen streiken», begann Galgenberg. «Haben Sie deswegen schon Ärger gehabt?»
    «Wat für Ärja?», fragte Rummler nuschelnd. Das lag an seiner Hasenscharte.
    «Na, dass Sie einer verprügeln wollte - als einen Streikbrecher.»
    «Mir wollte keena vaprüjeln.»
    «Und Tilkowski, ist der mal von jemandem bedroht worden?»
    «Nich, det ick wüsste.»
    Kappe wandte sich nun dem anderen zu, vielleicht war der ein wenig intelligenter und wortgewandter. «Und Sie - ist Ihnen etwas aufgefallen?»
    Nowacki stützte sich auf seine Schippe. «Nee. Aba vielleicht war ooch der Einbrecha von neulich wieda hier.»
    Kappe hätte sich am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen: dass er da nicht selber dran gedacht hatte. Das war auch noch eine Möglichkeit. Tilkowski sitzt auf der Toilette und ist eingeschlafen, als der Einbrecher in die Baracke eindringt. Er stellt ihn - und wird niedergeschossen. «Ja, richtig. Aber einen ganz bestimmten Verdacht haben Sie da nicht?»
    «Nee, hab ick nich.» Nowacki setzte an, mit seiner Arbeit fortzufahren und verkohlte Bretterreste in eine Schubkarre zu schaufeln, hielt aber wieder inne. «Warten Sie ma. .. Ick hab jestan inne Beusselstraße jemandem jeseh’n, mit dem ick mal. .. Na, Se wissen schon. ..»
    «.. . zusammen im Gefängnis war», ergänzte Kappe den Satz.
    «Jenau.»
    «Und wie heißt der Mann?», hakte Galgenberg nach.
    «Det weeß ick nich mehr.»
    «Können Sie ihn irgendwie beschreiben?»
    «Nee.»
    «Hat er irgendeine Auffälligkeit gehabt?»
    «Eine Auffälligkeit», wiederholte Nowacki und schien einige Sekunden zu brauchen, um sich den Sinn des Wortes klarzumachen. «Nee, nur detta immer so leise jeredet hat.»
    Nachdem es der Polizei am Nachmittag gelungen war, die Beussel- und die Sickingenstraße, die Rostocker und die angrenzenden Straßen von den Aufrührern zu säubern, war gegen 18.30 Uhr schon wieder alles schwarz von Menschen, unter ihnen viele halbwüchsige Burschen, aber auch Schulkinder. Familienväter trugen ihre Kleinen auf den Armen vor sich her und glaubten, dadurch gegen die Attacken der Polizisten geschützt zu sein. Die Menge setzte alles daran, den Lagerplatz von Kupfer & Co. zu besetzen.
    «Verlassen Sie sofort das öffentliche Straßenland!», wurden sie von den Schutzmännern aufgefordert. Nach den Scharmützeln am Vormittag war die Parole ausgegeben worden: «Bei Widerstand blankziehen und dreinhauen!»
    «Verpisst euch lieber selber, ihr Hornochsen!», kam es zurück.
    «Wir jehn mit unsere Kinda da spazieren, wo et uns passt.» Hermann Kappe trieb in der Menge wie ein Baumstamm im Strom. Er war einfach so mitgerissen worden. Am liebsten hätte er sich eine Kapuze über den Kopf gezogen, um nicht erkannt zu werden. Da konnte er dem Major Klein, der die Schutzmänner befehligte, noch so lautstark versichern, dass er dienstlich unterwegs war, sie würden ihn für einen Verräter halten und dementsprechend traktieren. Sicherlich wusste die politische Abteilung schon längst, dass er viel mit seinem Nachbarn gesprochen hatte, mit Trampe, diesem Sozi.
    Blinder Eifer schadet nur. Immer wieder hielt Kappe sich diese alte Weisheit vor. Wäre er lieber zu Hause geblieben und hätte Im Lande des Mahdi gelesen, den Karl-May-Band Nummer 17, als hier nach dem Mörder Paul Tilkowskis zu suchen, konkret nach einem Einbrecher, der ganz leise sprechen sollte. Aber dieser Hinweis konnte auch nur eine kleine Gemeinheit des Kohlenarbeiters sein, um sich an einem Knastbruder zu rächen, der ihm womöglich einmal übel mitgespielt hatte. Immerhin, es war die Spur einer Spur, und wo man sonst nichts Greifbares hatte, musste ihr nachgegangen werden.
    Wirklich? Kappe fragte sich, ob er nicht an krankhaftem Ehrgeiz leide. Nein - es war eher die Lust, ein Rätsel zu lösen. Wer hatte in Storkow auf ihn geschossen? Wer hatte Paul Tilkowski getötet? Doch spürte er genau, dass dies nicht die ganze Wahrheit war. Die lag wohl darin, dass er es nicht ertragen konnte, mit Ungewissheiten zu leben. Es bohrte in ihm, es fraß ihn auf, wenn er nicht herausbekam, wer die Täter waren. Das unterschied ihn von Galgenberg, Dr. Kniehase und Canow. Er war ein Getriebener, sie versahen nur ihren Dienst.
    Kappe war erleichtert, als er sich klargemacht hatte, warum es so war, wie es war - warum er sich unter die Tumultuanten gemischt hatte, unter die Feinde der Ordnung, die zu verteidigen er geschworen hatte. Es war ein riskantes Spiel, und er genoss es

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